CS und Behörden in Erklärungsnot
Verletzen Investoren mit Leerkündigungen das vom Sozialpakt der UN geschützte Recht auf angemessenes Wohnen?
Am 21. Juni 2019 besuchte Leilani Farha, die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen, verschiedene Mieterinnen und Mieter im Zürcher Brunaupark. Fünf Monate später wandte sie sich mit einem offiziellen Schreiben an Bund, CS und die Pensionskasse der CS. Sie verlangte Auskunft darüber, ob die in zwei grosse Bauprojekte in Zürich (Brunaupark, Ersatzneubau) und Basel (Schorenweg, Gesamtsanierung) involvierten Behörden sowie die CS die von ihnen eingegangenen Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte eingehalten haben.
CS hat UNO-Leitprinzipien anerkannt
Farhas Schreiben wie auch die Antworten von Bund, CSGroup, CS-Pensionskasse und CS-Asset-Management-AG können seit einigen Wochen auf der Website des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte eingesehen werden. Die Publikation ist Teil des vom UN-Hochkommissariats für Menschenrechte und den Mitgliedstaaten anerkannten Verfahrens zur Durchsetzung der einschlägigen internationalen Verträge. Im vorliegenden Fall geht es um den von der Schweiz Anfang 1990er-Jahre unterzeichneten Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Artikel 11 dieses Pakts sieht vor, dass die Vertragsstaaten das Recht eines jeden auf angemessene Unterbringung gewährleisten und geeignete Schritte zur Verwirklichung dieses Rechts unternehmen. Mit den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte kommt die CS und die ihr angegliederten Unternehmen ins Spiel. Denn die CS hat diese Leitprinzipien – wie viele andere multinationale Konzerne – anerkannt.
Menschenrechte bisher zu wenig beachtet
Warum nimmt sich Leilani Farha am Ende ihrer zweiten Amtszeit als UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen zwei Leerkündigungen in Zürich respektive Basel zum Gegenstand eines «Special Procedure» genannten Austauschs von Briefen mit der Schweiz und einer Grossbank? Ein Blick in den Anhang ihrer Schreiben an die Schweizer Behörden und die CS gibt Auskunft. Während die Vorgängerinnen von Farha sich vor allem mit «Forced Evictions» und Zwangsräumungen von informellen Siedlungen in Schwellenländern zu Wort gemeldet haben, standen für die 2014 gewählte Farha auch die Zwangsräumungen in Spanien und die Explosion der Boden- und Mietpreise in den Megacities des Nordens im Fokus. Sie hat die Durchdringung der Wohnungsmärkte durch Finanzdienstleister und Immobilienfonds kritisiert und politische Antworten auf die wachsende Markmacht von institutionellen Anlegern gefordert. Und sie macht öffentlich Druck, wie der Kinofilm «Push», der ihre Arbeit dokumentiert, und die von ihr und Ada Colau, der Stadtpräsidentin von Barcelona, organisierten Treffen mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern vieler Megacities zeigen. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen von den Behörden und den Eigentümern des Schorenwegs in Basel und des Brunauparks in Zürich nicht nur wissen will, ob die rausgeworfenen Mieterinnen und Mieter eine neue Wohnung finden werden. Sie weist auch darauf hin, dass die Menschenrechte im Kontext der Umbrüche auf dem Immobilienmarkt bisher viel zu wenig beleuchtet worden sind.
Fragen an Behörden und Eigentümer
Farha spricht vom psychischen Druck, der auf Mieterinnen und Mieter ausgeübt wird, denen die Wohnung gekündigt wird. Sie weist darauf hin, dass die Betroffenen nicht nur eine neue Wohnung suchen müssen, sondern auch eine neue Nachbarschaft, dass sie neue Ressourcen und neue Netzwerke aufbauen müssen. Und sie wird konkret: «Im Brunaupark haben viele ältere Mieterinnen und Mieter ihre Kinder und Grosskinder in der Nachbarschaft. Wenn sie ausziehen müssten, würde ihr Familienleben auseinandergerissen und die nachbarschaftliche Hilfe aufgebrochen.» Farha will von den Behörden und den Eigentümern wissen, wie die Betroffenen in die Projektentwicklung einbezogen worden sind. Sie fragt nach dem Angebot an preislich vergleichbaren Wohnungen, die in den neuen oder sanierten Wohnungen zur Verfügung stehen. Sie will in Erfahrung bringen, weshalb nicht Projekte favorisiert worden sind, die das Bleiberecht der Mieterinnen und Mieter sichergestellt hätten. Dabei kann sie auf die von ihrer Vorvorgängerin Miloon Kothari erarbeiteten «Basic Principles on Development-based Evictions» verweisen, die eine Partizipation der bisherigen Mieterinnen und Mieter während des ganzen Entwicklungsprozesses zu einem Grundrecht von Menschen erklären, die von Vertreibung bedroht sind. Und auf das Grundrecht dieser Menschen, im Notfall eine Ersatzwohnung in unmittelbarer Nähe zum bisherigen Wohnort zu erhalten.
«Spezielle» Antworten von Credit Suisse …
Die Antworten, die Leilani Farha aus er Schweiz erhalten hat, sind – um es zurückhaltend auszudrücken – speziell. Die in Menschenrechtsfragen offensichtlich geschulten CS-Leute geben immerhin zu, dass die beiden Bauprojekte in Zürich und Basel das Recht der Mieterinnen und Mieter auf angemessenen Wohnraum tangieren. Im Rahmen der aufgrund des Schreibens von Farha durchgeführten Sorgfaltspflichtprüfung seien «verschiedene mögliche menschenrechtsbezogene Auswirkungen festgestellt» worden wie «unfreiwilliger Umzug», «Schwierigkeiten bei der Wohnraumsuche in der Stadt» und «Verlust des sozialen Netzes». Daneben seien aber auch die Rechte anderer Anspruchsgruppen berücksichtigt worden. Im Fall der Pensionskasse seien das vor allem die Versicherten, im Fall der Credit Suisse Asset Management Switzerland AG die Investoren, die hinter dem SIAT-Immobilienfonds stehen, zu dessen Portfolio die Häuser am Schorenweg in Basel gehören. Beide Gruppen hätten ein Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und soziale Sicherheit. Was das Ergebnis dieser Prüfung war, braucht hier nicht explizit erwähnt zu werden.
… und Behörden
Die im Schreiben von Aussenminister Ignazio Cassis zusammengefassten Antworten der Behörden sind voller Widersprüche. Für den Bund weist Cassis unter anderem auf das Mietrecht hin. Das Problem: Dieses bietet leider keinen wirksamen Schutz vor Kündigungen, die Mieterinnen und Mieter zu einem unfreiwilligen Umzug zwingen. Es gibt insbesondere keine gerichtliche Abwägung zwischen den Rechten der von den Compliance-Spezialisten der CS aufgeführten Anspruchsgruppen. Es gibt kein Kündigungsschutzverfahren, in dem der Verlust des sozialen Netzes einer 80-jährigen Mieterin gegen das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard eines von den Ausschüttungen des SIAT-Immobilienfonds profitierenden Investors abgewogen wird. Aus Basel ist die Mitteilung eingetroffen, dass man mit der Eigentümerschaft Kontakt aufgenommen habe, um zu klären, ob ein Verkauf der Liegenschaft ein denkbarer Weg sei. Eine Anfrage, die bei einem auf langfristige Anlagen fokussierten Immobilienfonds wenig Sinn macht. Nur noch den Kopf schütteln kann man über die Antwort, die von der Stadt Zürich kommt. Der Stadtrat weist auf sein Wohnprogramm hin, fügt aber hinzu, dass sich «im Kanton Zürich und in der Agglomeration die Leerwohnungsziffer spürbar erhöht habe und angemessener Wohnraum zu akzeptablen Konditionen verfügbar sei». Das ist die offizielle Version der berüchtigten Aussage der Hauseigentümer-Lobbyistin Regine Sauter. Im Abstimmungskampf zur Wohninitiative hatte sie gegenüber den Medien gesagt, die Mieterinnen und Mieter müssten halt dort hinziehen, wo sie sich eine Wohnung leisten könnten.
Nicht mit weniger zufrieden geben
Die Latte, die Leilani Farha für eine sich an der Wahrung der Menschenrechte orientierenden Stadtentwicklung gesetzt hat, ist hoch: Sanierungen müssen in bewohntem Zustand, Ersatzneubauten in Etappen durchgeführt werden und einen möglichst hohen Prozentsatz an Wohnungen enthalten, die für die bisherigen Mieterinnen und Mieter preislich erschwinglich sind. Bei grossen Planungen müssen die betroffenen Mieterinnen und Mieter einbezogen werden. Mit weniger dürfen wir uns jedoch nicht zufrieden geben.
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