19.02.2019
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Zürich  | 
Mieteraktion

Brunaupark: Im Ungewissen gelassen

Die Pensionskasse der Credit Suisse will mitten in Zürich Wohnbauten ersetzen, die kaum dreissig Jahre alt sind. Was führt sie im Schilde?

Text: Esther Banz

Zuerst sind die Älteren da. Sie setzen sich und warten geduldig. Dann treffen Leute direkt von der Arbeit ein. Der Saal füllt sich. Zuletzt stehen sie dicht gedrängt an der Wand. Es sind Bewohnerinnen und Bewohner des Brunauparks in Zürich, die sich versammeln. 400 Wohnungen, teils noch keine 30 Jahre alt. Aber, so gehen die Gerüchte, sie sollen bald abgebrochen werden. So wolle es die Eigentümerin, die Pensionskasse der Grossbank CreditSuisse (CS). Aus jeder zweiten Wohnung sind Mietende der Einladung des MV Zürich gefolgt. Mietende, die nach Informationen geradezu lechzen.

Niemand wusste bis anhin Genaueres. Mal war die Rede von neuen Häusern. Dann hiess es wieder, die Ladenflächen inklusive diejenigen der grossen Migros-Markts würden saniert. Eine Anwesende erzählt: «Als ich das erstmals hörte, dachte ich: Das kann doch gar nicht sein! Das Haus, in dem wir wohnen, wurde ja erst vor zehn Jahren renoviert. Und erbaut wurde es vor weniger als vierzig Jahren. So ein Haus reisst man doch nicht ab!» Andere Teile der Überbauung sind sogar erst 23 respektive 26 Jahre alt.

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Über 200 Mieterinnen und Mieter des Brunauparks versammelten sich am 31. Januar 2019 im Albisgüetli.

«Alles ist möglich»

Fakt ist, dass im Juli 2018 viele, aber offenkundig nicht alle Mietparteien einen Brief von der Verwalterin Wincasa erhielten. Darin stand: «Im Zusammenhang mit der Sanierung des Ladenzentrums Brunaupark prüfen wir auch verschiedene Optionen für die Neugestaltung von Teilen des Areals. Selbst lediglich die Renovation der Verkaufsflächen ist vorstellbar. Ferner befinden wir uns in engem Austausch mit den städtischen Behörden.» Die Abklärungen seien im Gang, aber noch keine Entscheide getroffen. Man werde die Mieterschaft «rechtzeitig und ausführlich» informieren. Die eigentliche Botschaft dieses Briefes lautet jedoch: Sie haben gerüchteweise dies oder jenes gehört.

Stellen Sie sich vor: Beides könnte zutreffen! Aber es könnte auch noch länger dauern. Wenn Sie diese Unsicherheit nicht aushalten, suchen Sie sich doch einfach etwas anderes.

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Ladenzentrum Brunaupark.

Walter Angst vom MV Zürich sagt: «Wer einen solchen Brief erhält, denkt natürlich sofort ans Schlimmste – und beginnt, sich nach einer neuen Wohnung umzusehen.» Der Mietexperte kennt die Nöte von Mietenden, die im Ungewissen gelassen werden, nur zu gut. Er fügt vielsagend bei: «Wenn Vermieter Gerüchte nicht dementieren, die Betroffenen im Dunkeln tappen lassen, nicht informieren und wenn, dann ohne klare Aussage –dann kann das auch eine gezielte Strategie sein.» Im vergangenen Dezember erschienen auf dem Online-Portal «Inside Paradeplatz» sowie im «Tages-Anzeiger» Artikel zum Brunaupark. Die Pensionskasse der CS wolle ihre Rendite optimieren, und die Mietenden würden wohl bis Ende2020 die Kündigung erhalten, war zulesen. Die CS und auch die Verwaltung Wincasa dementierten nicht. Hunderte von Betroffenen befürchten nun den baldigen Verlust ihrer Wohnungen. Auf Anfrage von M+W lässt Anitta Tuure von der CS-Medienstelle weiterhin nichts Konkretes verlauten: «Momentan prüft die Pensionskasse der Credit Suisse-Group (Schweiz) verschiedene Optionen für die Neugestaltung des Areals, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen.»


Kalkulierte Verunsicherung

Manche Hauseigentümer kalkulieren damit, dass verängstigte Mietende kündigen, anstatt sich zu wehren. Solche Pläne gehen aber nicht immer auf. Das müsste die CS gelernt haben: Keine zehn Jahre ist es nämlich her, als sie den Brunau-Bewohnern schon einmal einen Schrecken einjagte. Damals lief im ältesten Wohnblock die Frist für die garantierte Kostenmiete aus. Diese war Bestandteil des Vertrags, den der Zürcher Stadtrat und die damalige Eigentümerin SKA im Jahr 1973 abgeschlossen hatten.

Das 100 Hektaren grosse Areal sollte damals aufgezont werden. Im Gegenzug musste sich die Grossbank verpflichten, Wohnungen zu bauen und die Mietzinse während dreissig Jahren nach gemeinnützigen Kriterien festzusetzen. Weil in den Kosten der Landwert nicht berücksichtigt sein durfte, waren die Mieten im Brunaupark günstig. Vor Ablauf der Frist sanierte die CS die 1980 erstellte Siedlung und verlangte ab 2010 um bis zu 70 Prozent höhere Mieten. Viele wehrten sich mit Hilfe des MV gegen diese Aufschläge. Die meisten einigten sich vor der Schlichtungsbehörde auf einen Kompromiss. Einige gingen auch vor Gericht und erhielten Recht. Sie wohnen noch heute in der Siedlung, und ihre Wohnungen sind mit Abstand die günstigsten.

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Die Mieterschaft des Brunauparks wehrte sich schon einmal gegen die CS, als diese die Mieten bis zu 70 Prozent erhöhen wollte.

Fassungslos

An der Versammlung sind manche fassungslos, dass ihre Wohnung nicht mehr genügen soll. Ruth Zimmermann (Name geändert) etwa wohnt seit 2004 in der Brunau, ihre Söhne sind 7 und 9 Jahre alt. Sie schwärmt von der Wohnqualität und dem grossen Freiraum für die Kinder. Und sie erzählt von der Unsicherheit, mit der sie jetzt schon seit Monaten lebt: «Alles, was ich weiss, ist aus den Medien. Dass die Verwaltung Defekte nur noch billig repariert, lässt mich Böses ahnen.» Auch, dass frei werdende Wohnungen nur noch befristet vermietet werden. Das überrascht, denn Zimmermann wohnt in einem der Häuser, in denen die Mietzinskontrolle noch lange nicht abgelaufen ist. Warum vermietet die CS-Pensionskasse die Wohnungen also nicht ganz normal weiter? Was führt sie im Schilde? Der MV kann den Anwesenden an diesem Abend eine gute Nachricht überbringen: «Wir können Sie beruhigen, es gibt keinen Grund, jetzt eine neue Wohnung zu suchen. Bis in zwei oder drei Jahren wird noch keine Baubewilligung vorliegen», sagt Walter Angst. Er weiss, dass das Architekturbüro von Adrian Streich den von der CS-Pensionskasse ausgeschriebenen Studienauftrag gewonnen hat (was noch nicht offiziell kommuniziert ist) und dass mit diesem Entscheid das mit 166 Wohnungen grösste und älteste Haus im Brunaupark stehen bleiben soll. Erleichtertes Aufatmen im Saal. Die MV-Vertrauensanwältin Manuela Schiller und der ex-MV-Geschäftsführer Niklaus Scherr zeigen auf, dass es sich lohnt, die Hände nicht in den Schoss zu legen, sondern Einfluss auf die Planung zu nehmen. Weil die Pensionskasse die Anzahl der Wohnungen von 400 auf 800 verdoppeln will, ist diese Planung keine Privatsache mehr. Im Gemeinderat liegt bereits eine Interpellation vor, die vom Stadtrat die Klärung offener Fragen verlangt. Unter anderem, wie der Abbruch von kaum dreissig Jahre alten Gebäuden aus ökologischer Sicht zu rechtfertigen sei.

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Niklaus Scherr, Walter Angst und Manuela Schiller vom MV Zürich (von vorne nach hinten).

Eine IG kommt

«Ich nehme an, dass wir uns heute nicht zum letzten Mal sehen, das wird eine lange Geschichte»: So hatte Walter Angst die Anwesenden eingangs begrüsst.

Jetzt schnellen über 200 Arme in die Höhe, als die Frage im Raum steht, ob eine Interessengemeinschaft gegründet werden soll. Ist jemand dagegen? Niemand. Zahlreiche Freiwillige melden sich, die mithelfen wollen. Die Stimmung im Saal hat gedreht. Sie ist jetzt schon fast heiter.