Fröhlich wächst der Schimmel
Um Energie zu sparen, drehen viele Mietende die Heizung runter. Dadurch steigt das Risiko von Schimmelpilz. Er zeigt sich nicht nur an den Wänden, sondern auch durch Symptome wie Müdigkeit oder allergische Reaktionen. Wer trägt die Verantwortung und die Kosten für die Entfernung?
Text: Fabian Gloor
Gudrun Waldvogel hat sich gut eingelebt in ihrer neuen Wohnung. Einzig mit der Einrichtung ihres Schlafzimmers ist sie noch nicht ganz zufrieden – der neue Kleiderschrank steht nicht am richtigen Ort. Als Waldvogel den schweren, sperrigen Kasten zur Seite schiebt, macht sie eine gruslige Entdeckung: Dort, wo das Möbelstück stand, hat sich an der Wand ein gräulicher, pelziger Belag gebildet. Waldvogel ist sofort klar: Hier hat sich klammheimlich Schimmel eingenistet. Wie konnte das geschehen?
Potente Sporen
Schimmelpilze – ein Sammelbegriff für verschiedene Mikropilze – vermehren sich ausschliesslich dort, wo es feucht ist. In der Natur zersetzen sie Pflanzenbestandteile und tragen so zur Humusbildung bei. Schimmelpilze haben eine unbändige Kraft, sich zu vermehren. Aus mikroskopisch kleinen Pilzsporen können sich quasi über Nacht glatte, fädige oder pelzige Pilzbeläge von stattlicher Grösse bilden. Schimmelpilzsporen sind zudem äusserst widerstandsfähig und flugtüchtig. Sie legen grosse Distanzen zurück und gelangen dabei sogar ins Weltall. Folglich sind Schimmelpilzsporen nicht nur im Boden, sondern auch in der Luft allgegenwärtig. Beim Lüften gelangen sie mit der Aussenluft in die Wohnräume. Eigentlich ein unproblematischer Vorgang. Unerfreuliche Auswirkungen haben die Pilzsporen in Innenräumen erst, wenn sie auf feuchte Materialien wie kühle und feuchte Wände treffen. Dann entwickeln sich aus den unsichtbaren Flugkörpern übel riechende, unansehnliche und zerstörerische Pilzbeläge. Diese Pilzbeläge sind nicht nur eklig, sondern können auch die Gesundheit schädigen. Die gesundheitlichen Folgen von Schimmel in Wohnräumen gehen von Atemwegs-, Augen- und Hautreizungen bis hin zu chronischer Bronchitis oder Asthma und allergischen Erkrankungen. Bei bestimmten Vorerkrankungen besteht ein erhöhtes Risiko für gefährliche Schimmelpilzerkrankungen wie die allergische Lungenerkrankung ABPA oder innere Infektionen. Schimmelpilze dürfen deshalb auf keinen Fall unterschätzt werden.
Schimmel melden
Waldvogel muss den Schimmelbefall dem Vermieter umgehend mit eingeschriebenem Brief melden. Andernfalls kann sie für Folgeschäden haftbar gemacht werden. Am besten schiesst sie gleich noch ein paar Fotos, welche das Ausmass des Übels dokumentieren. Für weitere Abklärungen ist der Vermieter zuständig. Es empfiehlt sich deshalb nicht, als Mieter*in von sich aus Schadensgutachten oder Schimmelpilzmessungen in Auftrag zu geben.
Der Vermieter wird vermutlich versuchen, Waldvogel die Schuld am Schimmelbefall in die Schuhe zu schieben. «Sie haben nicht genügend gelüftet», lautet das klassische, meistens falsche Argument. Zugluft mag der Schimmel tatsächlich nicht. Doch meistens sind sogenannte Wärmebrücken die Hauptursache für den Schimmelbefall, beispielsweise schlecht isolierte Aussenwände. Kühlt die Raumluft an kalten Wandoberflächen ab, bildet sich darauf Kondenswasser. Die feuchte Fläche bildet einen idealen Nährboden für Schimmel. Platziert Waldvogel nun ihren Kleiderschrank an einer Aussenwand, wird die Luftzirkulation hinter dem Möbelstück behindert, wodurch allfälliges Kondenswasser an der Wand nicht abtrocknet. Dass dies die Schimmelbildung fördert, liegt auf der Hand. Die Hauptursache für das Auskühlen der Wände und damit auch für den Schimmel liegt jedoch meistens an der schlechten Isolation. Und für solche Baumängel sind grundsätzlich Vermieter*innen verantwortlich. Eindringendes Regenwasser, durchsickernde Feuchtigkeit in Kellerräumen, ungenügend ausgetrockneter Beton in Neubauten oder eine defekte Wasserleitung, die das Mauerwerk durchfeuchtet, sind weitere Baumängel, die zu Schimmelpilz führen und von der Vermieterschaft zu verantworten sind.
Schuldnachweis ist schwer zu erbringen
Wer ungenügend oder falsch lüftet, sehr viele Zimmerpflanzen hält oder den Luftbefeuchter im Dauermodus arbeiten lässt, fördert unweigerlich Schimmelbildung. Das Gleiche gilt, wenn beim Kochen stets ordentlich Dampf abgelassen oder die Wäsche im Wohnzimmer zum Trocknen aufgehängt wird. Die Heizung im Winter ganz zuzudrehen, ist auch keine gute Idee, denn kalte Raumluft kann weniger Feuchtigkeit aufnehmen, wodurch sich mehr Kondenswasser bildet. Doch all diese Verhaltensweisen allein führen in der Regel noch nicht zu einem Schimmelbefall. Die Feuchtigkeit in Innenräumen ist meistens auf ein subtiles Wechselspiel vieler Ursachen zurückzuführen.
Damit der Vermieter Waldvogel für den Schimmelbefall belangen kann, muss er zweifelsfrei nachweisen, dass sie allein oder zumindest mehrheitlich für den Schimmelbefall verantwortlich ist. Dieser Nachweis ist im Einzelfall äusserst schwer zu erbringen. Auch Expert*innen kommen oft zu unterschiedlichen Ergebnissen. Gelingt dem Vermieter dieser Nachweis nicht, muss er den Schimmel auf seine Kosten beseitigen. Die Beseitigung sollte professionell vorgenommen werden. Javel-Wasser und andere Hausmittelchen wirken meist nur oberflächlich, und der unliebsame Mitbewohner ist im Nu wieder zurück.
Rechtlich handelt es sich beim Schimmel um einen Mangel am Mietobjekt. Denn die Vermieterschaft ist gesetzlich verpflichtet, der Mieterschaft eine mängelfreie Wohnung zur Verfügung zu stellen, die mit normalen Lebensgewohnheiten nutzbar ist. Kann der Schimmelbefall nur durch stundenlanges Lüften verhindert werden, so ist die Wohnung nicht normal nutzbar. Ständiges Lüften ist unzumutbar. Insbesondere jetzt in der Energiekrise. Ebenfalls unzumutbar ist es, an den Aussenwänden keine Möbel aufstellen zu dürfen.
Mietzins hinterlegen – aber richtig
Zögert der Vermieter die Beseitigung des Schimmels unnötig hinaus, kann Waldvogel ihn unter Druck setzen, indem sie den Mietzins bei der zuständigen Schlichtungsbehörde hinterlegt. Doch Vorsicht: Für eine korrekte Mietzinshinterlegung muss sie einige Formalitäten beachten. In einem eingeschriebenen Brief muss sie dem Vermieter erst einmal eine angemessene Frist zur Behebung des Schimmels ansetzen und die Hinterlegung androhen. Behebt der Vermieter den Mangel nicht innert der angesetzten Frist, kann Waldvogel den ganzen Mietzins inklusive Nebenkosten bei der vom Kanton bezeichneten Stelle hinterlegen. Möglichst zeitgleich sollte sie den Vermieter schriftlich über die Hinterlegung informieren. Solange der Mangel nicht behoben ist, kann sie auch alle weiteren Mietzinse und Nebenkosten hinterlegen. Ganz wichtig: Der Mietzins muss im Voraus, das heisst vor der Fälligkeit, bei der Schlichtungsbehörde einbezahlt werden.
Nach der Hinterlegung des ersten Mietzinses hat Waldvogel 30 Tage Zeit, ein Schlichtungsgesuch bei der Schlichtungsbehörde einzureichen. Neben der professionellen Beseitigung des Schimmels hat Waldvogel auch einen Anspruch auf eine Mietzinsreduktion. Wie hoch die Reduktion ist, steht nirgends im Gesetz, sondern ist eine Ermessenssache. Eine Reduktion von 10 bis 20 Prozent bei einem mittleren Schimmelbefall darf Waldvogel aber erwarten.
Was ist aber mit Waldvogels neuem Kleiderschrank, dessen Rückseite völlig verschimmelt ist und der nun im Sperrmüll seine letzte Ruhe gefunden hat? Grundsätzlich muss ihr der Vermieter diesen Schaden ersetzen. Waldvogel muss aber beweisen können, wie viel der Kleiderschrank gekostet hat. Da er neu war, sollte ihr dies problemlos gelingen.
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