26.02.2021
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M+W  | 
Interview

«Wir sollten über eine Mietzinskontrolle nachdenken»

Wegen Covid droht Gewerbetreibenden und privaten Mietenden die Kündigung. Die Immobilienlobby führt derweil ihren Angriff auf das Mietrecht fort. Ein Gespräch mit MV-Präsident Carlo Sommaruga.

Gespräch: Andrea Bauer

M+W: Carlo Sommaruga, das Jahr 2020 endete mit einer Ernüchterung: Das Gesetz über die Geschäftsmieten wurde auf der Zielgeraden abgelehnt. Waren Sie frustriert?

Carlo Sommaruga: Dass das Parlament der Reduktion nicht zugestimmt hat, ist höchst bedauerlich. Und zwar aus drei Gründen: Erstens ist für uns – wie auch für die Mehrheit der Lehre – klar, dass die Mieten für die Zeit der Schliessung aus juristischer Sicht nicht geschuldet sind. Ein Entscheid des Parlaments hätte eine ausgewogene politische Lösung gebracht. Zweitens muss nun die Allgemeinheit mit Krediten und Härtefallgeldern in die Bresche springen. Dieses Geld muss aber irgendwann zurückgezahlt werden. Drittens, und das ist besonders schockierend, leisten die Immobilienkreise bis jetzt keinen Beitrag zur Bewältigung der Krise. Ich hoffe, dass die Gerichte dies bald korrigieren. Letztlich müssen wir das Problem aber ganzheitlich anschauen: Ohne uns wäre die Frage der Geschäftsmieten gar nicht an die Öffentlichkeit und ins Parlament gekommen. Es ist uns gelungen, eine Allianz mit Partnern wie Gastrosuisse, dem Geschäftsmieterverband oder Swiss Retail aufzubauen, mit denen wir sonst nicht zusammenarbeiten.

Wann erwarten Sie die ersten Urteile zu den Geschäftsmieten?

Erstinstanzliche Urteile wird es vermutlich Mitte Jahr geben. Ein Bundesgerichtsurteil werden wir wohl erst nächstes Jahr haben. Wichtig ist aber: Zu viel bezahlte Mieten können auch dann noch zurückgefordert werden. Dieses Recht verfällt erst nach fünf Jahren.

Es waren die linken Parteien im Parlament, die sich für die Gewerbetreibenden einsetzten. Wie erklären Sie sich, dass SVP und FDP, aber auch CVP und Grünliberale ihre traditionelle Klientel hängen liessen?

Ich bin überzeugt, dass der Hauseigentümerverband respektive seine Sektionen jeweils viel in die Wahlkampagnen investieren, um «ihre» Kandidierenden ins Parlament zu bringen. Entsprechend loyal zeigen sich die Gewählten gegenüber der Immobilienlobby, wenn es darauf ankommt.

Für den MV war der Einsatz für die Gewerbetreibenden auch eher neu …

Nicht, was die individuelle Ebene betrifft. Unsere Sektionen beraten immer wieder Geschäftsmietende und vertreten sie auch vor Gericht. Manche haben sogar spezielle Angebote für sie. Die Covid- Krise hat jedoch gezeigt, dass die Geschäftsmietenden auf politischer Ebene verwaist waren. Der MV hat sich ihnen zusammen mit anderen Verbänden angenommen. Aber klar, unsere primäre Klientel bleiben die privaten Mietenden, denn das Recht auf Wohnen ist grundlegend für die Würde der Menschen.

Wie spüren die privaten Mietenden die Covid-Krise?

Nicht nur die Gewerbetreibenden, sondern auch die Arbeitnehmenden sind finanziell stark unter Druck geraten. Ihr Problem zeigt sich jedoch eher mittelfristig. Wenn Sie arbeitslos oder von Kurzarbeit betroffen sind und nur noch 80 Prozent ihres Lohns erhalten, fehlt Ihnen nach fünf Monaten ein ganzer Monatslohn. Sie müssen auf Ihr Erspartes zurückgreifen, um die Wohnungsmiete zahlen zu können. Irgendwann ist aber auch das aufgebraucht. In Genf sehen wir nun die ersten Fälle von Zahlungsverzugskündigungen, besonders betroffen sind Menschen mit kleinem Einkommen. Solche Fälle könnten in den nächsten Monaten noch zunehmen. Wir haben den Bundesrat deshalb in einem Brief aufgefordert zu handeln.

Wie kann den Mietenden geholfen werden?

Konkret fordern wir eine Verlängerung der Zahlungsfrist bei Mietrückständen und ein Moratorium von Zwangsräumungen. In einer Zeit, in der die Menschen aufgefordert werden, zuhause zu bleiben, ist es nicht verantwortbar, sie aus ihren Wohnungen zu vertreiben. Für Geschäftsmietende fordern wir ebenfalls eine längere Zahlungsfrist sowie einen besseren Kündigungsschutz.

Mit den Rechten der Mietenden wird sich das Parlament in diesem Jahr noch eingehend befassen: Nachdem es die letzten Vorstösse aus Immobilienkreisen behandelt hat, wird jetzt eine Revision des Mietrechts ausgearbeitet. Um welche konkreten Fragen geht es?

Die Revision basiert auf einem koordinierten Angriff der Vertreter der Immobilienlobby auf das Mietrecht. Drei ihrer Vorstösse konnten wir in der letzten Session abwehren. Was jetzt noch auf dem Tisch ist, sind Vorstösse, die im Wesentlichen auf die vereinfachte Einführung der Marktmiete abzielen. Mithilfe verschiedener Instrumente wollen die Immobilienvertreter im Parlament die gesetzlich festgelegte Kostenmiete aushebeln, welche missbräuchliche Renditen verbietet. Sie wollen freie Hand bei der Festsetzung der Mieten.

Die letzten grossen Änderungen des Mietrechts wurden 1990 gemacht. Oft wird deshalb das Argument angeführt, es sei veraltet und müsse modernisiert werden. Wie sehen Sie das?

Unser eigentliches Mietrecht wurde während des Zweiten Weltkriegs etabliert. Damals wurde eine Mietzinskontrolle eingeführt. Mietzinsaufschläge wie etwa eine Anpassung an die Inflation konnten nur durch den Bundesrat beschlossen werden. Später ging man zu einem System der Überwachung über: Mieterhöhungen mussten bewilligt werden. In den 60er-Jahren wurde der Markt liberalisiert und die Mieten explodierten. Als das Desaster sichtbar wurde, das die Liberalisierung angerichtet hatte, führte man schrittweise das heutige System ein, das auf der Bekämpfung von Missbräuchen beruht.

Im Gegensatz zu früher sind heute die Mietenden selber dafür verantwortlich, missbräuchliche Mieten zu bekämpfen – indem sie eine Reduktion verlangen oder eine Erhöhung anfechten …

Genau. Der heutige Kontrollmechanismus ist sehr schwach und überdies unausgewogen, weil er auf einem Aktivwerden der Mietenden beruht. Die Folge davon: Viele Mieten sind höher, als es das Gesetz erlaubt. Eine Modernisierung des Mietrechts müsste also wenn schon darin bestehen, wieder eine echte Mietzinskontrolle einzuführen. Damit könnten wir gegen Mieten vorgehen, die nicht mehr mit dem Budget der Mehrheit der Bevölkerung kompatibel sind.

Die letzten Revisionen des Mietrechts sind alle gescheitert, die Fronten im Parlament seit Jahren verhärtet. Ist das Zustandekommen einer Revision überhaupt realistisch?

Sowohl die Immobilienlobby als auch der MV können gegen eine Revision, die ihnen nicht passt, ein Referendum ergreifen – und es auch gewinnen. Das bedeutet: Entweder schaffen wir es, ein Projekt auszuarbeiten, das für beide Seiten stimmt, oder das Mietrecht bleibt, wie es ist. Wir sind auf jeden Fall bereit zu einem Dialog. Das soll uns aber nicht davon abhalten, über einen Mechanismus für eine neue Mietzinskontrolle nachzudenken.

Wird dies das nächste Initiativprojekt des MV?

So weit sind wir noch nicht. Aber es gibt diverse Stimmen im Verband, die sich in diese Richtung äussern, und eine Sektion, die sich bereits formell mit dem Anliegen ans Präsidium gewendet hat.