Was ist in dieser Siedlung los?
In einer Schaffhauser Siedlung verlangt Wincasa seit drei Jahren ungerechtfertigte Nebenkosten und zahlt sie später an die Mieterinnen und Mieter zurück. Was steckt hinter diesem Vorgehen?
Vor kurzem wurde die Siedlung «Genesis» in Beringen (SH) umgetauft. Die fünf Wohnblöcke mit den 75 Wohnungen heissen jetzt «Harmony». Genützt hat die Namensänderung bislang nichts. Ein Teil der Mieterinnen und Mieter liegt nach wie vor im Streit mit der Verwaltung Wincasa. Der Grund: Wincasa stellt seit dem Bezug 2015 jedes Jahr happige Nachforderungen für die Nebenkosten. Und zwar unberechtigt. Mittlerweile beläuft sich die Summe auf 420'000 Franken.
Nachforderungen bis 2000 Franken
Seinen Anfang nahm der Streit 2016, als die Bewohnerinnen und Bewohner ihre erste Nebenkostenabrechnung erhielten. Je nach Grösse der Wohnung sollten sie bis zu 2000 Franken nachzahlen. Während die einen die Faust im Sack machten und zahlten, taten sich die anderen zusammen. Zu ihnen gehören Daniela Späth und Markus van Riel. «Die Verwaltungen stützen sich darauf ab, dass die Leute so etwas einfach hinnehmen», sagt Späth, «und wer doch nachfragt, wird abgewimmelt. Am Schluss bleiben nur die Harten übrig. Mit uns haben sie dummerweise gleich drei von der Sorte gehabt.» Zusammen mit einer dritten Mieterin machten sich Späth und van Riel an die Arbeit. In ihrer Freizeit schrieben sie Briefe, forderten Belege an, kontrollierten Abrechnungen, lasen Verträge durch. Alle sechs bis zehn Wochen trafen sie sich mit den anderen zu einer Mieterversammlung. «Dort konnten wir uns austauschen, uns das Erlebte erzählen. Und auch mal zusammen lachen», sagt Daniela Späth. Die Gemeinschaft sei wichtig gewesen: «Alleine hätten wir das nicht geschafft.» Während sich Späth vor allem um die Verträge und um mietrechtliche Belange kümmerte, erstellte van Riel für alle 39 Parteien, die dabei waren, eine neue Abrechnung. Denn die Mieterinnen und Mieter sollten den Teil der Nachforderungen, den sie anerkannten, bezahlen. Sonst hätte eine Betreibung gedroht. Von Wincasa die nötigen Unterlagen zu erhalten, habe sich als mühsames Unterfangen herausgestellt, sagt van Riel: Mails seien unbeantwortet geblieben, Unterlagen erst nach mehrmaligem Nachhaken ausgehändigt worden, die Einsicht in Verträge sei ihnen verwehrt worden. Späth und van Riel kommunizierten nur noch per Einschreiben mit der Verwaltung und drohten mit dem Gang vor die Schlichtungsstelle, was schlussendlich nützte.
Grobe Fehler in der Abrechnung
Die Verwaltung hatte ihre Gründe, nicht zu kooperieren. Je mehr sich van Riel in die Dokumente vertiefte, desto mehr Fehler kamen zum Vorschein. «Die Schweinereien, die in diesen Abrechnungen drin sind, sind kaum zu glauben», sagt er. Die grösste «Schweinerei» betrifft die Heizung. Die Siedlung hat einen sogenannten Contracting-Vertrag mit der Energieversorgungsfirma Etawatt. Beim Contracting darf der Hauseigentümer die Kosten für die Anlage, die er an die Energieversorgungsfirma zahlt, auf die Mieterinnen und Mieter überwälzen. Diese Kosten umfassen nicht nur den Energiebezug, sondern auch die Aufwendungen für den Unterhalt, die Verzinsung und die Amortisation der Anlage – Kosten also, die eigentlich nicht als Nebenkosten in Rechnung gestellt werden dürften. Nur: Die Heizung der Siedlung «Harmony» gehört gar nicht der Etawatt, sondern der Eigentümerin – der Credit Suisse selber. So steht es im Vertrag, der M+W vorliegt. Die Eigentümerin bezahlt der Energieversorgungsfirma also gar keine Kosten für Unterhalt, Verzinsung und Amortisation der Anlage. Trotzdem stellt sie den Mieterinnen und Mietern diese in Rechnung und lässt sich so die Heizungsanlage bezahlen. Dieser Posten macht mit 50'000 Franken pro Jahr rund die Hälfte der Nebenkostenabrechnung aus. Weitere 35'000 Franken pro Jahr gehen auf das Konto der Tiefgarage. Die Kosten für deren Reinigung und Wartung werden von Wincasa jeweils auf die Nebenkosten geschlagen. Dies obwohl es für die Garage separate Verträge gibt, in denen die Kosten ebenfalls inbegriffen sind. Das heisst: Wer kein Auto hat, soll trotzdem für die Tiefgarage zahlen. Und wer ein Auto hat, soll doppelt zahlen. Neben diesen beiden grossen Posten fanden Späth und van Riel weitere Fehler in der Abrechnung. Mit einer Liste von 28 Punkten sprachen sie bei der Verwaltung vor. «Der Herr von Wincasa hat schier die Krise gekriegt», sagt Späth und lacht. «Mich hat er während der Besprechung zweimal gefragt, ob ich denn keine Kinder hätte und am Abend nichts Besseres zu tun habe, als die Abrechnungen zu kontrollieren», sagt van Riel und stimmt in das Lachen ein.
Credit Suisse verzichtet
Anfang 2018 reagierte die Verwaltung auf die Vorwürfe. Bei rund der Hälfte der 28 bemängelten Punkte anerkannte Wincasa Fehler und war bereit, auf die Nachforderungen zu verzichten. So auch bei der Heizung. Auf die Fehler bei der Tiefgarage ging die Verwaltung jedoch nicht ein, weshalb die Mieterinnen und Mieter den gesamten Vorschlag der Verwaltung ablehnten. Danach herrschte ein Jahr lang Sendepause. Anfang 2019 dann traf ein Brief ein: Wincasa gab Bescheid, die Eigentümerin Credit Suisse verzichte auf sämtliche Nachforderung der Berechnungsperiode 2015/16. Auch auf diejenigen, welche die Mieterinnen und Mieter anerkannt und bereits bezahlt hätten. Hätte die Eigentümerin dieses Geld behalten, hätte das bedeutet, dass sie die Abrechnung der Mieterinnen und Mieter anerkennt. Anerkannt wird hier aber gar nichts, weder von Wincasa noch von Credit Suisse. Die Verwaltung schreibt in ihrem Brief an die Mieterinnen und Mieter, der M+W vorliegt, vielmehr, die Eigentümerin verzichte nur «aus Kulanz» und der Verzicht sei keinesfalls ein «Präjudiz» für kommende Abrechnungen. Mittlerweile sind zwei weitere Briefe eingetroffen, der letzte Mitte Januar 2020. Die Credit Suisse verzichtet auch für die weiteren Abrechnungsperioden auf ihre Nachforderungen.
Steckt System dahinter?
Doch warum anerkennt Wincasa die Fehler nicht? Und warum verzichtet die Credit Suisse wiederholt darauf, ihre Forderungen einzutreiben? Könnte es sein, dass «Harmony» nicht die einzige Siedlung ist, bei der diese Abrechnungsweise zur Anwendung kommt? Wincasa schreibt dazu, ihre Abrechnungen entsprächen den Grundsätzen des Schweizer Mietrechts. Es sei ihnen «stets ein Anliegen, die Nebenkosten zu optimieren und die Höhe der veranschlagten Beträge möglichst nicht zu überschreiten.» Späth und van Riel stehen in Kontakt mit Mieterinnen und Mietern anderer Siedlungen, die sich mit fehlerhaften Nebenkostenabrechnungen bei ihnen gemeldet haben, nachdem der «Blick» letzten Sommer ihre Geschichte veröffentlicht hatte. In einem Fall hat van Riel mittlerweile die Abrechnung durchgesehen – und bei der Tiefgarage die gleichen Fehler gefunden, die Wincasa bei ihrer Abrechnung gemacht hat.
Wincasa bestreitet Fehler
Auf Anfrage von M+W bestreitet Wincasa plötzlich, dass die Kosten für die Heizung den Mieterinnen und Mietern ungerechtfertigt in Rechnung gestellt würden. Die Anlage sei Eigentum der Etawatt und es handle sich um einen Contracting- Vertrag, schreibt sie. Diese Aussage steht im Widerspruch zu dem weiter oben erwähnten Schreiben, in dem Wincasa noch mitgeteilt hatte, auf die Nachforderung für die Heizung zu verzichten. Bei der Frage der Tiefgarage gibt Wincasa zwar teilweise zu, Fehler gemacht zu haben: «Den Mieterinnen und Mietern wurden fälschlicherweise einmalig rund CHF 10'000 für die Tiefgarage verrechnet. Dies bedauern wir sehr. Nachdem der Fehler erkannt wurde, wurde die Abrechnung umgehend korrigiert.» Auf die Hauptkritik der Mieterinnen und Mieter geht sie jedoch nicht ein. Von den bisherigen Abrechnungen steht jetzt noch die von 18/19 aus. Späth und van Riel rechnen damit, dass die Credit Suisse erneut verzichtet. Und dann ist schon wieder die neue Abrechnung fällig. Wie lange wollen Wincasa und Credit Suisse noch so weitermachen? Dazu schreibt Wincasa: «Zurzeit werden verschiedene Massnahmen geprüft, um die Nebenkosten in Zukunft weiter nachhaltig zu reduzieren. Wir werden die Mieterinnen und Mieter zu gegebener Zeit informieren.» Während die Verwaltung noch prüft, hat Daniela Späth die Initiative ergriffen und einen Brief an Wincasa geschrieben. Sie schlägt vor, eine Pauschale für die Nebenkosten einzuführen. Damit gäbe es künftig keine Abrechnungen mehr. Und für ihren Aufwand – zu dritt kommen sie mittlerweile auf rund achthundert Stunden – möchte sie eine Entschädigung von der Verwaltung.
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