16.07.2018
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«Das ist ein Schlag ins Gesicht»

Johann Schneider-Ammann gibt dem Druck der Immolobby nach. Er streicht das Bundesamt für Wohnungswesen zusammen. Dabei empfehlen Experten genau das Gegenteil.

Abbau statt Ausbau: das Bundesamt für Wohnungswesen, derzeit noch in Grenchen.
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Abbau statt Ausbau: das Bundesamt für Wohnungswesen, derzeit noch in Grenchen.

Wenn jemand von Synergien spricht, ist Vorsicht abgebracht. Meist soll das nur einen Abbau kaschieren. Und bei vollmundigen Beteuerungen ist erst recht Misstrauen am Platz. So auch beim Bundesrat, wenn er schreibt: «Der Bundesrat misst dem Wohnungswesen weiterhin eine hohe Bedeutung zu.» Das ist gleich doppelt falsch. Der Bundesrat misst dem Wohnungswesen keine hohe Bedeutung zu. Und wenn, dann nur dem privaten. So lautet das Fazit der jüngsten Operation im Berner Bundeshaus.

Zügeln und schrumpfen

Die Landesregierung hat Anfang Juni beschlossen, das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) Ende 2021 von Grenchen nach Bern zu zügeln und um ein Drittel zu verkleinern. Als Begründung müssen die angeblich unverhältnismässig hohen Betriebskosten in Grenchen herhalten. Wo das BWO in Bern angesiedelt werden soll, ist offen. Zu befürchten ist, dass es unter die Fittiche des Generalsekretariats des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) gerät. Dort regieren Leute wie Stefan Brupbacher, ein ex- Economiesuisse-Mann und Einflüsterer, der viel Einfluss hat. Er und seine Geistesverwandten dürfen jubeln. Sie haben sich durchgesetzt. Das BWO ist schon lange auf der Abschussliste der Rechten. Ihnen ist der genossenschaftliche Wohnbau ein Dorn im Auge. Weil er mit günstigen Mieten den privaten Wohnbau konkurrenziert und dessen Gewinne drückt. Das BWO hat seit Bestehen viel für die Gemeinnützigen getan (siehe Info-Box am Ende des Artikels). Wer es amputiert, amputiert die Gemeinnützigen, verschafft den Immobilienfirmen noch mehr Gewinne – und handelt erst noch verfassungswidrig. Denn unsere Bundesverfassung schreibt in Art. 108 vor, dass der Bund die Träger des gemeinnützigen Wohnbaus fördert. Und nicht zurückstuft, wie das jetzt tendenziell der Fall ist.

Verantwortlich dafür ist Bundesrat Johann Schneider-Ammann (FDP). Ein Bundesrat auf Zeit, der sich wenig um Wohnpolitik gekümmert hat. Drückende Preisspiralen in den Agglomerationen hat er so wenig auf dem Radar wie neue gemeinschaftliche Wohnformen oder innovative Siedlungsprojekte. So war es für ihn auch kein Problem, das Amt zu stutzen, das in der Bundesverwaltung für diese Probleme und Perspektiven zuständig ist. In den letzten sechs Jahren wurde das BWO schon systematisch ausgedünnt. Der Stellenetat sank von 48 auf unter 40. Es war ein schleichender Abbau im Gang, wie ihn bürgerliche Politiker schon lange wünschen. Eine Strategie des Aushungerns.

Der Schweizerische Mieterinnen- und Mieterverband (SMV) hatte schon früh gegen die Abbaupläne beim BWO interveniert. Stattdessen forderte er eine Stärkung des Amts im Sinne eines Ausbaus zu einem Kompetenzzentrum für Mietrecht und Wohnpolitik. Nun übt der SMV scharfe Kritik: «Der Bundesrat setzt ein völlig falsches Zeichen», sagt Generalsekretärin Natalie Imboden. Der Entscheid wirke auf die Mehrheit der Mietenden wie eine politische Ohrfeige. Es sei heute notwendiger denn je, die sich häufenden Probleme auf dem Wohnungsmarkt anzugehen. Das schreibe auch die Verfassung vor. «Der Bundesrat steht nicht nur im Widerspruch zu den Bedürfnissen der Mietenden, die auf zahlbare Mieten angewiesen sind, sondern auch zur Meinung von Experten», so Natalie Imboden.

Gutachten fordert Ausbau

Imboden spricht damit auf ein Gutachten der Universität St.Gallen an, welches das Departement im Vorfeld eingeholt hat. Die 60-seitige Expertise des Instituts für Systemisches Management und Public Governance empfiehlt, das BWO neu zu positionieren. Anstelle einer blossen Fortführung wie bisher oder gar einer Herabstufung, wie das jetzt geschieht, fordern die Ökonomen ein Kompetenzzentrum für Wohnungsfragen mit einem Ausbau der Wohnforschung sowie mehr Wissenstransfer und Vernetzung mit den Kantonen und Gemeinden sowie weiteren Akteuren des Wohnungswesens. Dies sei nötig wegen der zunehmenden Bedeutung, die Wohnfragen heute und erst recht in der Zukunft haben würden. Die Fachleute regen sogar an, im neuen BWO die Themen Wohnen, Immobilien und Stadtentwicklung zu konzentrieren. Es gehe nicht mehr nur um die Wohnversorgung, sondern es brauche einen ganzheitlichen Blick, der auch die Quartier- und Stadtentwicklung umfasse und Innovationen im Wohnungswesen ermögliche.

Dies alles schlug der Bundesrat einfach in den Wind. Daran zeigt sich, dass nicht sachliche, sondern politische und ideologische Aspekte im Vordergrund standen. Schneider- Ammann hat kurz vor Ende seiner Amtszeit dem jahrelangen Druck der Rechten nachgegeben. Es ist bezeichnend, dass die Immobilienlobby zu diesem Entscheid schweigt: Sie hat kein Sterbenswort dazu verlauten lassen. Sie darf sich die Hände reiben: «Bingo – BWO abgeschossen!» Entsetzt über diese Kaltschnäuzigkeit zeigt sich die Zürcher SPNationalrätin Jacqueline Badran: «Total falsch» sei dieser Abbau beim BWO. Vielmehr sei eine Aufstockung zu einem Amt nötig, das dem riesigen Volksvermögen Immobilien/Boden gerecht werde. Badran: «Alle Funktionen, die mit dem Boden zu tun haben, müssen zusammengelegt werden – Wohnen, Raumplanung, Grundbuchämter, bäuerliches Bodenrecht etc.» Die Immobilien, so Badran, seien das grösste volkswirtschaftliche Gut der Schweiz mit einem Gesamtwert von vier Billionen Franken. «Dagegen ist alles andere Pipifax, selbst Schneider-Ammanns Maschinenindustrie. » Zu diesem Gut müsse man endlich mehr Sorge tragen. Es brauche nicht nur mehr Transparenz, sondern auch schärfere Regeln. Sie weist daraufhin, dass immer mehr Aktiengesellschaften Besitzer von Wohnungen sind: «Das hat grosse Auswirkungen auf die Mieten.» Im Kampf gegen die Geldwäscherei seien die Grundbuchämter überfordert. Sie würden mit Firmen-Schachtelsystemen ausgetrickst, die die Herkunft von Geldern wirksam verschleiern. Auch sei es ein Leichtes, die Lex Koller zu umgehen, die den Kauf von Immobilien durch vermögende Personen im Ausland einschränkt. Badran: «Über Immobilienkäufe werden Millionen von Geldern gewaschen, und niemand kümmert sich darum!»

Gemeinnützige protestieren

Ärger auch bei Louis Schelbert, dem Präsidenten von Wohnbaugenossenschaften Schweiz: «Es geht nicht an, dass das BWO geschwächt wird», kritisiert er Schneider-Ammanns Abbruchübung. Es brauche ein starkes Kompetenzzentrum des Bundes für Wohnfragen. Dieses müsse den künftigen Herausforderungen der Wohnungspolitik begegnen können. Das Amt sei auch für die Kantone und Gemeinden eine wichtige Referenz. Denn es trage mit der Unterstützung von Modellprojekten und der breitgefächerten Wohnforschung massgeblich zur Entwicklung innovativer Lösungen im Wohnungsbau bei.

Das Stimmvolk hat es nun aber in der Hand, der falschen Politik in Bern die richtige Lektion zu erteilen. Auf dem Tisch des Parlaments liegt die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» der Mieterverbände und Genossenschaften. Die Volksinitiative wird voraussichtlich im Jahr 2019 an die Urne kommen. Dann haben wir die Möglichkeit, mit einem Ja zu dokumentieren, dass bezahlbare Wohnungen für breite Bevölkerungskreise wichtig und nötig sind.

So entstand das BWO

Das Bundesamt für Wohnungswesen ist die Frucht einer Volksinitiative aus dem Jahr 1967 («Recht auf Wohnung»). Diese wurde von Linkskreisen aus der Westschweiz lanciert. Das Anliegen führte später zu einem Bundesgesetz, das es ermöglichte, den genossenschaftlichen Wohnbau mit tragbaren Mietzinsen zu fördern. Zuerst nur ein Büro für Wohnungsbau, wurde die neue Stelle 1974 zum BWO. Als die Spekulation ins Kraut schoss, kamen in den späten 1970er-Jahren die Bekämpfung von missbräuchlichen Mieten sowie die Betreuung des Mietrechts als Aufgabe hinzu. Das BWO hat 35 Stellen und ist in Grenchen zuhause. Erstmals seit Bestehen soll nun das Bundesamt herabgestuft und um ein Viertel auf 25 Stellen reduziert werden.