01.10.2018
-
M+W  | 
News

Immobilienhai SBB?

Unbemerkt hat sich die Bundesbahn zum zweitgrössten Immobilienkonzern der Schweiz entwickelt. Mit viel Rendite, aber wenig sozialer Verantwortung.

Vor zehn Jahren stellte die SBB eine wichtige Weiche: Die Abteilung «SBB Immobilien» wurde zu einer eigenen Division aufgewertet. Jetzt arbeiten dort unter der Leitung von Jürg Stöckli nicht weniger als 950 Leute. Die Bedeutung der Division wuchs ständig. Denn die Bundesbahn weiss, dass in ihren Bahnarealen ein Goldschatz schlummert. Betongold. Er muss nur gehoben werden. Die SBB-Grundstücke liegen meist an bester Lage, nämlich in den Zentren bei den Bahnhöfen. Viele Grundstücke werden heute nicht mehr gebraucht. Sie können überbaut werden.

Enorme Gewinne

Und das tut die SBB mit viel Energie. Sie macht mit Liegenschaften 780 Mio. Franken Umsatz pro Jahr, und 100 Entwicklungsprojekte sind in Arbeit. Es schauen enorme Gewinne heraus. Jährlich zahlt SBB Immobilien 150 Mio. Franken an die Bahninfrastruktur. Darüberhinaus leistet sie jährliche Millionenbeiträge an die Sanierung der SBB-Pensionskasse sowie an den Schuldenabbau. Längst ist die Division zur Milchkuh des Unternehmens geworden. Sie bringt Geld für die Reparatur des Schienennetzes und die Finanzierung der Renten. Darüber freut sich Bahnmanager und CEO Andreas Meyer. Er muss die Finanzen im Griff behalten. Ebenso freut sich die Politik: Je mehr Geld die SBB selber erwirtschaftet, desto weniger muss die Staatskasse einspringen. Das schont die Bundesfinanzen. Bei dieser vermeintlichen Win-Win-Situation gibt es aber zunehmend einen Verlierer: die Städte und ihre Bevölkerung. Weil nämlich die Portfolio-Manager von SBB Immobilien vor allem die Rendite im Blick haben.

Was dabei herauskommt, wenn in erster Linie der Gewinn zählt, ist an der Europaallee beim Zürcher Hauptbahnhof zu besichtigen: Nahtlos reiht sich ein Büroturm an den andern in maximaler Ausnützung des Bodens. Man wähnt sich in Manhattan, aber nicht in Zürich. Wohnungen gibt es dort zwar auch, aber nicht für Normalverdienende. 3½- und 4½-Zimmer-Wohnungen kosten zwischen 3350 und 5630 Franken Miete pro Monat. In der Seniorenresidenz «Gustav» kosteten Alterswohnungen mit Service anfänglich absurde 8500 bis 18'800 Franken. Weil das nicht funktionierte, musste man mit den Preisen runter, aber auf ein Niveau, das sich immer noch nur Gutbetuchte leisten können. Luxus-Lofts dank SBB, heisst die zweispältige Bilanz am Zürcher HB. Von bezahlbarem Wohnraum keine Spur. Deshalb wuchs die Kritik an dieser Renditebolzerei, die städtebaulich mehr als fragwürdig ist. Einer der schärfsten Kritiker ist Niklaus Scherr, ex-Geschäftsleiter des MV Zürich und Politiker der Alternativen Liste (AL). Er will es nicht hinnehmen, dass die SBB, die uns allen gehört, wie ein kommerzieller Konzern agiert und Maximalgewinne anstrebt. Seit Jahren fordert er, dass sich die Bundesbahn auch im genossenschaftlichen Wohnungsbau engagiert: Sie soll ihre zentralen Grundstücke für den Bau von bezahlbaren Wohnungen nutzen. Denn der akute Mangel an günstigem Wohnraum ist heute das grösste Problem der Schweizer Städte. Und nicht etwa fehlender Büroraum.

Die Bahn baut nicht für die breite Bevölkerung

Bislang hat diese Kritik nur teilweise gefruchtet. Das zeigen Scherrs jüngste Recherchen, die er vor kurzem in der Architekturzeitschrift «Hochparterre» publiziert hat. Zwar hat die SBB auf einem weiteren Entwicklungsgebiet im Zürcher Hauptbahnhof, dem Areal Neugasse, darin eingewilligt, dass dort 30 Prozent günstige Wohnungen entstehen sollen. Das kam aber nur unter Druck in den Verhandlungen zwischen der Stadt und SBB Immobilien heraus. Ein Fortschritt gegenüber der Europaallee, wo gar keine bezahlbare Wohnung entstand. Jedoch für Scherr nicht genug: Er fordert eine nachhaltige Kurskorrektur. Und auf dem fraglichen Areal soll, sozusagen als Kompensation für die früheren übertriebenen Gewinne, 100 Prozent gemeinnütziges Wohnen realisiert werden. Eine SBB-kritische Gruppierung hat nun eine Volksinitiative lanciert, damit die Stadt Zürich das Gelände kauft und dieses Ziel realisiert. Unter diesem Druck hat die SBB zugestanden, die geplanten 375 Neugasse- Wohnungen zu einem Drittel gemeinnützig und zu einem weiteren Drittel mit «limitierte Mieten» zu erstellen. Dieses Beispiel zeigt: Die SBB hat nicht wirklich umgedacht. Sie setzt ihre renditefixierte Baupolitik fort, wo es geht. Fallweise gibt sie politischem Druck nach, gemäss dem Motto «Lieber weniger Erträge als gar keine». Denn die Portfolio-Manager von SBB Immobilien wähnen sich unter Renditedruck. Sie sehen primär den Markt und bauen faktisch für Bessergestellte, die breite Bevölkerung bleibt aussen vor. Wie etwa in der Überbauung Letzibach an der Hohlstrasse. Dort kosten 1½ Zimmer 1785 Franken im Monat, und für eine 4½-Zimmer-Wohnung muss man 3255 bis 3690 Franken hinblättern. In der Überbauung Westlink beim Bahnhof Altstetten kostet schon eine 3½-Zimmer-Wohnung bis zu 4430 Franken pro Monat. Wer kann das bezahlen? Bei solchen Preisen fragen sich viele, ob die Bundesbahn eigentlich zu einem Immobilienhai geworden ist.

Signal für die Städte

Wo die SBB baut, kommt zuerst die Rendite: teure Wohnungen auf den Zürcher Arealen Europaallee, ...
Zoom
Wo die SBB baut, kommt zuerst die Rendite: teure Wohnungen auf den Zürcher Arealen Europaallee, ...

Der Kampf ums Wohnen in Zürich ist ein Signal für andere Städte, wo die SBB ebenfalls ihre Landreserven verwerten will (sofern sie das nicht schon getan hat). Der Milliardenschatz, der in ihren Grundstücken liegt, ist noch längst nicht gehoben. Nach eigenen Angaben will die SBB langfristig mindestens 10'000 neue Wohnungen bauen. Wie viele davon werden bezahlbar sein? Diese Frage entscheidet sich vor Ort. Ob sinnvolle und stadtverträgliche Quartiere entstehen, darf man – so die Erfahrung aus Zürich – nicht allein Immobilienfachleuten überlassen. Sonst ist man verlassen. Die Stadtbehörden, aber auch die Parteien und die Zivilgesellschaft müssen sich frühzeitig in die Planungen einbringen und die städtebaulichen Erfordernisse geltend machen. Es braucht zonen- und planrechtliche Vorgaben. Nur so kann ein vielfältiger Stadtraum für die Bevölkerung entstehen und es werden anonyme Monokulturen vermieden.

Neben Zürich ist derzeit Basel ein Brennpunkt dieser Auseinandersetzung. Dort harren riesige zentrale Flächen der Überbauung. Sie werden Basels Gesicht komplett verändern. Die Pharma-Stadt am Rhein ist voll auf dem Weg zur Global City. So steht das gut 11 Hektar grosse Lysbüchel-Areal beim Bahnhof St.Johann zur Diskussion. Der fragliche Bebauungs plan Volta Nord gab Anlass zu Debatten, wie viele der neuen Wohnungen bezahlbar sein müssen. Die Linke brachte im Mai im Grossen Rat durch, dass es 30 Prozent Wohnungen mit Kostenmiete sein müssen. Das heisst, dass sie von gemeinnützigen Trägern erstellt werden. Wirtschaftskreise opponieren jedoch mit einem Referendum. Der Paukenschlag vom 10. Juni hat nun aber die Szenerie gänzlich verändert. Das Basler Stimmvolk nahm gleich vier Wohninitiativen an, welche die Behörden jetzt zu einem Kurswechsel zwingen (es stand in M+W). Der Kanton muss seine Wohnpolitik, die bisher auf die Ansiedlung von Personen mit besseren Einkommen ausgerichtet war, ändern und vermehrt die Normalverdienenden in den Blick nehmen. Das geht nur über eine massive Förderung der Gemeinnützigen, die dank Gewinnverzicht günstige Mieten garantieren.

Auch die SBB wird sich bei ihren Projekten darauf einstellen müssen. Zum Beispiel beim Nauentor, wo die Post zusammen mit der Bahn eine 450-Millionen Franken schwere Grossüberbauung mit einem Wohnanteil von 28 Prozent plant. Oder beim Güterbahnhof Wolf, wo ein Gelände baureif wird, das doppelt so gross ist wie die Zürcher Europaallee. Die Planung ist bereits angelaufen. Werden die Projekte richtig aufgegleist, steht den Basler Genossenschaften und gemeinnützigen Stiftungen ein goldenes Zeitalter ins Haus. Zum Wohle der Stadt. 

Grossvermieterin SBB

Mit einem Mietertrag von 480 Mio. Franken ist die SBB zum zweitgrössten Immobilienkonzern der Schweiz geworden. Der grösste ist Swiss Life. Hinter der SBB folgen Swiss Prime Site (PSP) und die Immobilienfonds der UBS sowie der Pensimo-Gruppe. SBB Immobilien bewirtschaftet 800 Bahnhöfe, 3500 Gebäude und 3600 Grundstücke. Die Bahn ist mitt-lerweile auch ein riesiges Shopping Center. Allein in den Hauptbahn­höfen («Rail Citys») machen die Geschäfte einen Nettoumsatz von 1,1 Mrd. Franken. Zum Portfolio gehören derzeit 1600 Wohnungen, Tendenz stark steigend. Die Bahn visiert den Bau von 10'000 neuen Wohnungen an.

Bürgerinitiativen gegen SBB-Manager

... und Letzibach.
Zoom
... und Letzibach.

Der problemlose Durchmarsch als Grossinvestor, dem die Lokalbehörden alle Wünsche von der Lippe lesen, dürfte für die SBB der Vergangenheit angehören. Auch in Luzern erwächst der Bundesbahn Gegenwind, dank Engagierten aus der Zivilgesellschaft. Auf dem Güterareal Rösslimatt beim Bahnhof ist ein «urbaner Hotspot» geplant. Das Projekt lässt auf ein künftiges Areal mit superteuren Wohnungen schliessen, ähnlich der Europaallee in Zürich. Unter anderem ist von einem «Wohngebäude mit gediegenen und repräsentativen Einheiten» die Rede. Dagegen wehrt sich die IG Stadtentwicklung, eine kritische Gruppierung. Sie will auch im Herzen der Hauptstadt nicht bloss Luxuslofts haben, sondern bezahlbaren Wohn- und Gewerberaum. Und zwar zu 100 Prozent. Der politische Kampf um diese Forderung ist in vollem Gang. Die IG will jetzt eine Volksinitiativelancieren, da der Stadtrat bisher nur halbherzig auf die Kritik reagiert hat. Für einen Innerschweizer Ableger der Europaallee, wie ihn die SBB realisieren wollte, sieht es also nicht besonders gut aus. Gänzlich gestoppt wurde die Bundesbahn in Vevey. Dort wollte sie für 130 Millionen Franken ein Güterareal überbauen. Vor anderthalb Jahren sagten die Stimmberechtigten aber Nein. Eine Allianz aus Grünen und Wachstumskritikern hatte das Projekt mit einem Referendum attackiert, unter anderem wegen zu wenig bezahlbaren Wohnungen. Jetzt herrscht Funkstille, und die SBB hat sich in den Schmollwinkel verzogen. Ähnlich wie in Zürich hatte sie angesichts des Widerstands gedroht, das Areal künftig als Brache leer stehen zu lassen. Zum Glück liess sich das Stimmvolk davon nicht beirren.

So werden die Immobilienentwickler der Bahn bei konkreten Projekten zum Umdenken gezwungen. Bei SBB Immobilien ist eine Fahrplanänderung angesagt. Leider hat es die Politik nicht fertig gebracht, den öffentlichen Konzern – die SBB ist eine AG, aber vollständig im Besitz des Bundes – von der schädlichen Gewinnmaximierung abzubringen und vernünftige Vorgaben zu machen. Bundesrätin Doris Leuthard (CVP) wehrt sich hartnäckig gegen eine Quote für bezahlbaren Wohnraum in den strategischen Zielen der SBB. Das sei ein Eingriff in die unternehmerische Tätigkeit. Sie lehnte sogar einen Bericht über die Immobilienstrategie der SBB ab, der eine Diskussion über Nutzen und Schaden dieser Politik ermöglicht hätte. Kritik derart zu unterbinden, ist aber kein sehr demokratisches Vorgehen. Für Leuthard zählt offenbar nur, dass die Kasse der Bundesbahn stimmt und die Sanierungsgelder ans Schienennetz und an die Bähnlerrenten fliessen. Ob in den Zentren der Städte lebendige neue Quartiere mit guter Durchmischung entstehen oder Büro- und Verwaltungsflächen, die abends tot sind, scheint der bald zurücktretenden CVP-Magistratin egal.

Wohninitiative hilft

Die Wohninitiative des SMV würde mithelfen, die SBB wieder besser aufs Gleis zu bringen. Denn das Volksbegehren sieht unter anderem vor, dass Kantone und Gemeinden ein Vorkaufsrecht auf Grundstücke des Bundes und seiner Betriebe ausüben können, um dadurch ihre Aufgabe wahrzunehmen, breiten Kreisen bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen. Die Initiative kommt bald in den Nationalrat. Und dabei wird sicher auch die Tätigkeit von SBB Immobilien wieder zur Sprache kommen. Zu recht. Denn Manager brauchen die richtigen Ziele, um gute Arbeit zu leisten. Ziele, die der ganzen Bevölkerung dienen und nicht bloss den finanziellen Interessen des eigenen Unternehmens.