«Wir müssen einen Schritt weiter gehen»
Michael Töngi hat den Mieterinnen- und Mieterverband als Kampagnenleiter und Generalsekretär geprägt. Nun wechselt er in die Politik. M+W traf ihn zum Abschiedsgespräch.
M+W: Michael Töngi, Sie sind vor fünfzehn Jahren als Kampagnenleiter zum MV gestossen. Wie war Ihr Einstieg?
Michael Töngi: Schon damals war der MV gut aufgestellt. Man wollte aber vermehrt in die Kampagnenarbeit investieren. Diese Aufgabe konnte die Geschäftsleiterin nicht auch noch übernehmen. Zudem fehlte die nationale Klammer des Verbands. Es gab nur die sprachregionalen Verbände in der Deutsch- und Westschweiz sowie im Tessin. Der Schweizerische Mieterinnen- und Mieterverband (SMV) wurde erst später installiert.
Welches war Ihre erste Kampagne?
Das war unsere Volksinitiative «Ja zu fairen Mieten». Sie kam 2003 zur Abstimmung. Gleichzeitig mussten wir aber auch das Referendum gegen eine verfehlte Mietrechtsrevision ergreifen. Zu Beginn war es für mich ziemlich turbulent.
Ihre Anstellung war ein grosser Schritt für den Verband. Es war der Einstieg in die professionelle Medien- und Kampagnenarbeit.
Unsere politischen Gegner lieferten uns auch Steilvorlagen für ständiges Kampagnen-Training, etwa das Steuerpaket mit ungerechtfertigten Steuervorteilen für Hauseigentümer, wo unser Referendum Erfolg hatte. Dann kam der sinkende Hypothekarzins, ab 2008 Referenzzins genannt, der weitere Kampagnen erforderlich machte. Dadurch gewann der SMV Profil und politisches Gewicht. Die bisherige starke Verankerung in den Sektionen blieb jedoch bestehen. Zudem packten wir intern ein grosses Reformprojekt an: die Qualitätssicherung bei den Dienstleistungen. Rückblickend gesehen war das eine sehr anspruchsvolle Übungsanlage. Die Arbeit geht uns auch heute nicht aus.
«Beim Wohnen geht es um sehr viel Geld. Es gibt politische Kreise, die kein Interesse daran haben, dass man vermehrt über Mietprobleme redet. Dahinter stecken Wirtschaftsinteressen.»
- Zoom
- Reto Schlatter
«Wir wollen keine Mietzinsspirale»: So lautete der Slogan der damaligen MV-Volksinitiative. Heute steigen die Mieten in den Städten immer noch stark. Hat sich nichts gebessert?
Letztlich geht es beim Wohnen um sehr viel Geld. Wirtschaftliche Interessen, Renditen und Anlagen stehen im Vordergrund. Es geht nicht nur um gute und schlechte Vermieter. Wer meint, dieses Thema sei irgendwann erledigt, erliegt einer Illusion. Wohnen steht immer unter Druck, gerade jetzt wieder besonders stark. Es ist eines der grossen Themen unserer Gesellschaft und bleibt ein heftig umkämpftes Feld.
Beim Mietrecht gelangen keine grossen Fortschritte...
Auf der nationalen Ebene ist tatsächlich enttäuschend wenig geschehen. Der grösste Frust war die gescheiterte Mini-Revision des Mietrechts vor zwei Jahren. Der Bundesrat wollte landesweit transparente Anfangsmieten, doch das Parlament versenkte dies hochkant. Auf der kommunalen Ebene haben wir aber doch ansehnliche Erfolge erzielt. Ich erwähne nur die Beispiele Zürich, Bern und Genf, aber auch kleinere Gemeinden: überall Initiativen und Aktionen zugunsten von günstigem Wohnraum. Häufig ist dabei der MV die treibende Kraft.
Früher war der MV hauptsächlich auf mietrechtliche Fragen fokussiert. Hat sich das geändert?
Ja, der MV hat sich geöffnet: Neben dem Mietrecht stehen stärker ökonomische Fragen im Zentrum. Denn es gibt nicht nur das Mietrecht, sondern auch eine wirtschaftliche Basis. Dort müssen wir ebenfalls den Kampf für die Interessen der Mieterinnen und Mieter führen.
Warum sind Miet- und Wohnfragen politisch unterbewertet? Die Ausgaben für die Miete drücken die Haushalte ja am meisten.
Es gibt eben politische Kreise, die kein Interesse daran haben, dass man vermehrt über Mietprobleme redet oder dass man dieses Thema aufwertet. Dahinter stecken die Wirtschaftsinteressen. Viele Leute verdienen am Wohnen. Der Hauseigentümerverband trägt dazu bei, indem er Druck ausübt. Bürgerliche Parteien schielen stark auf die Wahlempfehlungen der Hauseigentümer. Wir haben da einen starken Gegenspieler.
«Der MV ist für die Mitglieder eine Art Versicherung bei Wohnproblemen. Und er steht allen Leuten offen.»
Was muss der SMV tun, um erfolgreich zu sein? Braucht er nicht mehr Ressourcen?
Wir haben sehr starke Sektionen, die vor Ort Politik machen. Sie können dort viel erreichen. Aber es stellt sich die Frage, ob man nicht durch einen Ausbau der Kräfte im nationalen Verband mehr erreichen könnte. Ich finde, dass wir hier einen Schritt voran gehen müssten. Nur schon mit Blick darauf, dass uns womöglich mehrere Referenden aufgrund der mieterfeindlichen HEV-Vorstösse ins Haus stehen. Ausserdem müssen wir ja auch noch unsere Wohninitiative durchbringen. Wir haben aber auch Vorteile. Dem HEV gelang es bis heute nicht, eine schweizerische Organisation auf die Beine zu stellen. Und die Kakophonie der Vorstösse in Bundesbern ist offenkundig. Sie widersprechen sich sogar und sind offenbar nicht koordiniert.
Trotz Finanzkrise und Rezession sind die Mitgliederzahlen des MV ständig gestiegen. Andere Verbände mussten Verluste hinnehmen. Erstaunt Sie das?
Nein, die Antwort liegt auf der Hand: Unsere Sektionen machen eine gute Arbeit. Wir haben unsere Dienstleistungen – Rechtsberatung, Wohnungsservice, Versicherung, Mitgliederinformation etc. – kontinuierlich ausgebaut. Das zahlt sich aus. Heute reicht es eben nicht mehr, an die Solidarität zu appellieren. Die Vorteile müssen stimmen. Der MV ist für die Mitglieder eine Art Versicherung bei Wohnproblemen. Zudem steht er allen Leuten offen.
Sie verlassen den SMV, weil Sie als Nachfolger des altershalber zurücktretenden Louis Schelbert (Grüne, Luzern) in den Nationalrat nachrücken. Damit setzen Sie voll auf die Politik. Ist das nicht riskant?
Es ist tatsächlich eine Herausforderung. Aber ich möchte mich voll für dieses Mandat engagieren. Generalsekretär bleiben und gleichzeitig im Nationalrat sitzen, das wäre für mich unvorstellbar. Ich habe eine 70-Prozent-Stelle und kann an niemanden Aufgaben delegieren, wenn ich abwesend bin. Bis zu den nächsten Wahlen in anderthalb Jahren habe ich Zeit, mein Amt als Nationalrat auszufüllen und neue Standbeine zu entwickeln.
Werden Sie weiterhin Mieterpolitik betreiben?
Auf jeden Fall.
Das Interview mit Michael Töngi ist im M+W Nr. 1/18 vom Februar 2018 erschienen.
Text: Ralph Hug
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