12.02.2015
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M+W

Energiewende: Wie viel profitieren und bezahlen Mieter?

Der Nationalrat legte den Ablauf der Energiewende fest. Die wichtigsten Beschlüsse für Mieterinnen und Mieter.

AKW Mühleberg: Atomkraft ohne Ende?
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AKW Mühleberg: Atomkraft ohne Ende?

Mehr als zwanzig Stunden debattierte der Nationalrat in der letzten Wintersession über die so genannte Energiestrategie 2050. Diese legt fest, wie der Übergang zu einer neuen, umweltfreundlichen Energiepolitik erfolgen soll. Wie stark sollen die erneuerbaren Energien gefördert werden? Müssen alte Atomkraftwerke abgeschaltet werden? Wer bezahlt welche Kosten der Restrukturierung? Das waren einige der wichtigen Fragen in dieser Debatte. Die Energiepolitik betrifft uns alle – gerade auch die Mietenden. M&W fasst daher die wichtigsten Beschlüsse zusammen, welche die Mieterhaushalte betreffen.

Sparen wird Pflicht

Die Energiepolitik ist immer umstritten. Das zeigte sich schon bei den grundlegenden Fragen. Etwa, ob im Energiegesetz konkrete Sparziele beim Energieverbrauch formuliert werden sollen. Das ist nun der Fall. Der Nationalrat entschied, dass der Energieverbrauch pro Person bis ins Jahr 2020 um 16 Prozent sowie bis 2035 um 43 Prozent im Vergleich zum Jahr 2000 gesenkt werden soll. Damit wird Energiesparen zur Pflicht. Jeder und jede soll durch ein sparsames Verhalten dazu beitragen, dass unsere Ressourcen geschont werden und der Energieverbrauch nicht ständig weiter ansteigt.

Erneuerbare Energien fördern

Die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen soll künftig mehr zum Zug kommen. Deshalb wird sie vermehrt gefördert. Das geschieht über die kostendeckende Einspeisevergütung. Betreiber von Photovoltaikanlagen, Windrädern, Geothermie- und Biogasanlagen sowie von gewissen Wasserkraftwerken erhalten einen Zuschuss, damit sie ihre Anlagen gegenüber anderen Formen der Stromproduktion rentabel betreiben können. 
Heute darf die kostendeckende Einspeisevergütung höchstens 1.5 Rappen pro Kilowatt betragen. Neu soll dieser Wert auf 2.3 Rappen erhöht werden können. Der effektive Wert liegt heute bei 0.6 Rappen. Die Anpassung wird notwendig, damit bedeutend mehr Projekte gefördert werden können. Und die Auswirkungen auf einen vierköpfigen Haushalt? Je nachdem, ob das Warmwasser mit einem eigenen Boiler aufgeheizt oder mit Strom oder Gas gekocht wird, beträgt der Aufschlag pro Jahr 35 bis 120 Franken.

CO2-Abgabe erhöhen

Heute beträgt die CO2-Abgabe auf Brennstoffen maximal 60 Franken pro Tonne CO2 oder umgerechnet 16 Rappen pro Liter Heizöl. Der Bundesrat erhält die Kompetenz, die Abgabe auf 120 Franken zu erhöhen. Dies würde eine Erhöhung auf 32 Rappen pro Liter Heizöl bedeuten. Auch diese Abgabe bezahlen die Mieterinnen und Mieter via Nebenkostenabrechnung. Die Maximalabgabe führt in einem schlecht isolierten Haus bei einer 100-Quadratmeter-Wohnung zu Kosten von rund 600 Franken pro Heizperiode. 
Die CO2-Gelder werden gleichmässig via Krankenkassenprämien rückerstattet. Ein Teil wird für die Förderung von Gebäudesanierungen eingesetzt. Wer in einem gut isolierten Haus wohnt, profitiert. Wer hingegen in einem unsanierten Altbau wohnt, legt drauf.

Subventionierte Sanierungswelle

Bisher wurden Gebäudesanierungen vom Bund pro Jahr mit 300 Millionen Franken gefördert. Das Geld stammt aus der CO2-Abgabe. Neu sollen die Fördergelder auf 450 Millionen Franken aufgestockt werden. Ziel ist es, energetisch schlechte Gebäude rascher zu erneuern. Die Erhöhung der Sanierungsrate hat die bei weitem grösste Auswirkung auf die Mietenden. Denn bereits die laufende Sanierungswelle zeigt die Probleme auf, mit denen Mietende bei Renovationsvorhaben konfrontiert sind: Nach Sanierungen erhöhen die Besitzer die Mieten häufig um mehrere hundert Franken. Und allzu oft kündigen sie auch den ganzen Block leer, um die Wohnungen nachher viel teurer vermieten zu können. 
Es ist nun absehbar, dass bei einer staatlich geförderten Sanierungswelle noch mehr Leute von solchen Machenschaften betroffen sein werden. Gemäss Verordnung ist der Vermieter verpflichtet, bei der Berechnung der Mietzinserhöhung nach einer Sanierung die Fördergelder abzuziehen. Kündigt er aber vorher den Block leer und vermietet die Wohnungen nach der Renovation neu, so kann er auch den Mietzins unabhängig von der vorgängigen Miete und den erhaltenen Fördergeldern festlegen. Die Subventionen fliessen nun direkt in seine Tasche. Der Staat subventioniert auf diese Weise also die höhere Rendite der Liegenschaftenbesitzer mit.

Intelligente Messsysteme

Der Bundesrat kann Elektrizitätsunternehmen dazu verpflichten, intelligente Mess- und Regelsysteme zu installieren. Dafür müssen die Konsumenten einer Steuerung des Stromverbrauchs zustimmen. Das könnte unter Umständen zur Folge haben, dass sie nicht mehr zu jeder beliebigen Zeit waschen können. Die Kosten der Installation gehen zu Lasten der Konsumentinnen und Konsumenten. Wie hoch diese sein werden, ist jedoch unklar. Weil aber aus der ganzen Übung eine Senkung des Stromverbrauchs resultieren soll, besteht immerhin die Aussicht auf geringere Stromkosten.

Keine Laufzeitbeschränkungen für AKW

Der Nationalrat beschloss keinen konkreten und verbindlichen Zeitplan für den Atomausstieg. Er lehnte generelle Laufzeitbeschränkungen ab. Die Atomraftwerke sollen so lange laufen, als sie als sicher gelten. Immerhin soll das AKW Beznau I im Jahr 2029 abgeschaltet werden. Die Kraftwerkbetreiber müssen ab dem 40. Betriebsjahr eines Meilers Langzeitkonzepte vorlegen. Sowohl die Folgekosten eines weiteren Betriebs der Atomkraftwerke wie deren Abschaltung sind in finanzieller Hinsicht für die Haushalte kaum berechenbar.

Mieter blitzen ab, neue Steuerboni für Eigentümer

Der Nationalrat bediente in der Energiedebatte einmal mehr eine seiner liebsten Interessengruppen: die Liegenschaftsbesitzer. Diese sollen künftig von neuen Steuerabzügen profitieren. Schon bisher konnten Eigentümer energetische Investitionen in ihre Gebäude von den Steuern abziehen. Für diesen Abzug müssen in Zukunft gewisse Standards eingehalten werden. Gut so, denn bisher gab es in diesem Bereich reichlich Wildwuchs. 
Gleichzeitig hat die grosse Kammer aber weitere Steuervergünstigungen eingeführt. Tätigt ein Eigentümer eine energetische Investition, die so hoch ist, dass sein steuerbares Einkommen unter Null sinkt, so kann er diese Investition auf die vier darauffolgenden Steuerperioden verteilen. Neu kann er selbst einen steuerbaren Abzug für eine energetische Sanierung machen, wenn er sein Gebäude gar nicht saniert, sondern dieses abreisst und neu baut – ein Unikum! Damit soll der Abriss von alten Liegenschaften und der Bau von neuen Wohnhäusern gefördert werden, mit allen den problematischen Seiten für die Bewohner solcher Liegenschaften.

Kommentar: Die Mieterinteressen kommen zu kurz

Michael Töngi
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Michael Töngi

Klar: Alle müssen sich an der Energiewende mitbeteiligen, auch die Mieter. Denn gratis ist sie nicht zu haben. Das von Parlament beschlossene Projekt hat aber Schieflage: Zum einen sind die Einsparziele im Verkehrsbereich viel weniger ambitioniert als beim Wohnen. Anderseits wurde die Erhöhung der Sanierungsquote nicht mit Schutzmassnahmen für die betroffenen Mieter gekoppelt. Kein besserer Kündigungsschutz, keine generelle Kontrolle der Mietzinsaufschläge und keine Transparenz für die Mietenden in Altbauten. Der Energieausweis wie auch eine individuelle Heizkostenabrechnung bleiben freiwillig. Das ist falsch. Die Mieteranliegen müssen im Interesse des Projekts mehr berücksichtigt werden. Michael Töngi