Durchlauferhitzer war defekt – «Ich dachte, jetzt sterbe ich»
Wohl nur knapp ging Renate Müller am Tod vorbei: Sie erlitt in ihrer Wohnung in Bern eine schwere Kohlenmonoxidvergiftung. Wie kam das? Reportage über ein Unglück, das nicht hätte stattfinden müssen.
Am Sonntag, 24. November 2013, verschickte die Berner Kantonspolizei eine Meldung mit dem Titel: «Bern: Wohnhaus nach Vorfall mit Kohlenmonoxid evakuiert.» Kurz nach Mittag sei die Sanitätspolizei wegen eines medizinischen Notfalls zu einer Wohnung eines Mehrfamilienhauses an der Wyttenbachstrasse ausgerückt. Eine Frau sei im Badezimmer zusammengebrochen. Als die Rettungskräfte eintrafen, hätten sie rasch realisiert, dass es sich um einen Vorfall im Zusammenhang mit Kohlenmonoxid handle. Die Frau sei vom Ambulanzteam ins Spital gebracht worden.
Nicht mehr sicher
Die erwähnte Frau ist Renate Müller, und sie erzählte M&W ihre Geschichte. Der Grund: Sie möchte auf die Risiken aufmerksam machen, die in einer Altbauwohnung lauern können. «Ich dachte immer, ich sei in meiner Wohnung sicher. Aber das war eben nicht so», versucht sie das Geschehene zu verarbeiten. Als M&W sie besuchte, waren erst gut zwei Wochen seit dem Unfall vergangen. Noch immer wirkte Renate Müller gezeichnet. Das Erlebte lastet schwer auf ihr.
Was ist geschehen? Renate Müller war im Badezimmer unter der Dusche. Ihr Bad hat keine Fenster, das Warmwasser kommt vom gasbetriebenen Durchlauferhitzer. An der Türe befinden sich lediglich einige Luftschlitze in den Gang. Wie stets liess sie die Türe einen Spalt offen, damit der Dampf abziehen kann. «Als ich aus der Badewanne stieg, brach ich plötzlich zusammen. Ich konnte mich nicht mehr bewegen», berichtet sie. Die vierjährige Tochter fand sie am Boden liegend und holte den Vater, der am Kochen war und gleich die Sanität alarmierte. Renate Müller konnte nicht antworten. Sie war zwar bei Bewusstsein, jedoch vollkommen reaktionsunfähig.
Bald war die Feuerwehr mit Atemschutzgeräten im Haus. Konzentrationen von Kohlenmonoxid wurden festgestellt. Dieses Gift ist geruchlos, man kann es nicht riechen. Und es ist schwerer als Luft, weshalb sich das Gift in Bodennähe befand. Die Feuerwehrleute bargen Renate Müller, und die Sanitäter transportierten sie ab. Die Minuten, da sie am Boden lag, waren für sie traumatisch: «Ich dachte, jetzt sterbe ich.» Auf dem Weg ins Inselspital erhielt sie Sauerstoff und Infusionen. Die Feuerwehr liess inzwischen das ganze Wohnhaus evakuieren. Neun Partien mussten ihre Wohnung verlassen. Man befürchtete, es könnte zu Gasexplosionen kommen.
Im Helikopter nach Genf
Erst im Inselspital war Renate Müller wieder ansprechbar. «Die Ärzte erklärten mir, dass ich nach Genf müsse», erzählt sie. Wenig später befand sie sich an Bord eines Rega-Helikopters, der in die Westschweiz flog. Das Notfallzentrum des Genfer Unversitätsspitals verfügt über grosse Unterdruckkammern, die vor allem für die Behandlung von Taucherunfällen benötigt werden. Renate Müller musste sich einer so genannten «hyperbaren Sauerstoffbehandlung» unterziehen. Das Ziel dieser Therapie ist die Eliminierung des Kohlenmonoxids aus dem Körper.
Das ist nicht sofort möglich. Das Gift setzt sich nämlich an den roten Blutkörperchen fest und blockiert die Aufnahme von Sauerstoff. Bei mehr als 25% im Blut treten Vergiftungserscheinungen auf, bei über 50% droht Ohnmacht und bei noch höheren Konzentrationen ein Koma und schliesslich der Tod. Es brauchte mehrere «Auswaschungen», bis Renate Müller ausser Gefahr war. «Ich musste samt dem Bett in die U-Boot-ähnliche Röhre hinein», erinnert sie sich. Während Tagen hatte sie starkes Kopfweh, ausserdem litt sie unter Muskel- und Gelenkschmerzen.
Nach zwei Tagen konnte sie nach Hause zurückkehren. Auch ihre kleine Tochter hatte eine Vergiftung erlitten, obwohl sie nur kurz im Bad war. Sie konnte im Kinderspital behandelt werden. Renate Müller wurde in der Folge krank geschrieben und musste in die neurologische Abklärung. Sie erhält psychologische Unterstützung. Es ist im Moment noch offen, ob sie mit gesundheitlichen Spätfolgen rechnen muss.
Polizeilich plombiert
Kurz nach dem Unfall wurde der Durchlauferhitzer polizeilich plombiert. Die Experten des Gaswerks vermuteten in dem Gerät den Verursacher des Unfalls. An Ort und Stelle simulierten sie den möglichen Hergang. Die Annahme war, dass durch den Dampfabzug in der Küche, der während der Dusche lief, und die abgedichteten Fenster ein Unterdruck entstanden war und das Kohlenmonoxid nicht entwich. Das Gift konnte in die Wohnung strömen, weil der Durchlauferhitzer nicht abgeschaltet hatte. Dies hätte er aber tun sollen, gab es doch eine Abschaltautomatik. Möglicherweise spielten auch Mängel am Kamin eine Rolle, der die Abluft nicht sauber absaugte.
Aus den Untersuchungen zu ähnlichen Unfällen ist das Phänomen der «Schubumkehr» bekannt. Man kann es bei Cheminées beobachten, wenn der Kamin nicht «zieht» und der Rauch in die Stube statt ins Freie strömt. «Seit ich hier wohne, wurde der Durchlauferhitzer nie gewartet, und einen Kaminfeger habe ich auch nie gesehen», sagt Renate Müller. Sie wohnt seit 2007 in dieser Altbauwohnung. Nachbarn bestätigen, dass keine Wartung stattfand.
Umso mehr staunte sie, als sie einige Tage später ein Schreiben der Hausverwaltung erhielten. Darin hiess es, die Durchlauferhitzer aller Wohnungen seien «periodisch gewartet» worden. Seitens des Netzbetreibers seien «keinerlei Beanstandungen erfolgt». Man bedaure den Unfall und danke den Betroffenen für die Geduld und das Verständnis für die Umtriebe.
Zwei Nachbarn veranlassten, dass auch ihre Durchlauferhitzer plombiert wurden. Mit der Konsequenz, dass sie kein Warmwasser mehr zur Verfügung hatten. Als eine Woche später Sanitärinstallateure auf Geheiss der Hausverwaltung eine neue Leitung einziehen wollten, schritt Renate Müller ein. Sie war der Meinung, dass am «Tatort» nichts verändert werden dürfe. Es standen ja Untersuchungen der Staatsanwaltschaft in Aussicht. Diese liess Messungen durchführen. Die Polizei erschien, beschlagnahmte den Durchlauferhitzer und liess ihn abmontieren.
Die Verwaltung stellte den ohne Warmwasser dastehenden Bewohnern einen zentralen Ersatzboiler in Aussicht. Sie versprach auch eine «angemessene Entschädigung». Später schob sie freilich nach, die Installation eines Zentralboilers sei unverhältnismässig aufwändig. Stattdessen wurden die Durchlauferhitzer der beiden anderen Wohnungen, die von Fachleuten gewartet und freigegeben wurden, wieder in Betrieb genommen. Man prüfe zusätzlich den Einbau von CO-Sensoren, hiess es. Die Mietenden hatten zuvor einen eingeschriebenen Brief verfasst. Sie forderten darin ein «sicheres und gasfreies Heisswassersystem» bis April 2014 sowie den schriftlichen Beweis, dass die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen (Wartung, Kontrolle, Unterhalt) durchgeführt wurden.
Grosse Enttäuschung
Im Nachgang zum Unfall brachte die Vermieterin einen Blumenstrauss und Schokolade sowie einen von der Verwaltung unterzeichneten Brief vorbei. Doch Renate Müller mochte nicht mit ihr sprechen. Dann erhielt sie den Bescheid, sie könne nun jederzeit ohne Kündigungsfrist aus der Wohnung ausziehen. Was wunder, beschlich sie das Gefühl, man wolle sie los werden. Doch will sie überhaupt bleiben? «Ich kann nicht länger ein Bad benützen, in dem ich fast ums Leben gekommen bin», sagt sie. Jetzt sucht sie eine andere Wohnung.
Im Wohnhaus an der Wyttenbachstrasse hat sich einiger Ärger aufgestaut. Vieles müsste in diesem über hundertjährigen Altbau erneuert werden. Mit der Bereitschaft zu Investitionen scheint es jedoch nicht weit her. Das bezeugen E-Mails der Mieter, in denen immer wieder auf Mängel hingewiesen wird. Ein Augenschein im Garten zeigt rostige Zäune und bröckelnde Sockel. Auf Anfragen der Mieter bezüglich Instandstellung geschah wenig.
Inzwischen hat der Untersuchungsbericht des Technischen Inspektorats des Schweizerischen Gasfachs ergeben, dass die Rückstromsicherung am Durchlauferhitzer nicht funktionierte. «Hätte sie funktioniert, wäre der Unfall nicht passiert», heisst es im Bericht. Trotz einer Reparatur am Gerät vor anderthalb Jahren wurde der Defekt nicht bemerkt. Wer trägt nun die Verantwortung? Das will der Staatsanwalt jetzt genau wissen. Er hat Ermittlungen aufgenommen. Zumindest für Renate Müller ist aber der Fall klar: «Das Gerät wurde entgegen den Empfehlungen nie gewartet», beteuert sie.
Ob ein Strafverfahren gegen eine bestimmte Person eröffnet wird, ist derzeit noch offen. Im Badezimmer haben Renate Müller und ihre Familie noch heute kein warmes Wasser. Seit nunmehr zwei Monaten müssen sie bei Nachbarn duschen. Die Verwaltung hat nun «nach sorgfältiger Prüfung» die Installation eines zentralen Boilers sowie eine Entschädigung für den Ausfall angekündigt. Renate Müller soll 1'200 Franken erhalten, die übrigen betroffenen Mieter je 500 Franken. Das sei «grosszügig aufgerundet», so die Verwaltung, die noch darauf verweist, dass es in der Küche Warmwasser hat. «Ja, ein 30-Liter-Boiler für drei Personen...», sagt Renate Müller sarkastisch.
Wie geht es weiter? M&W wird in der nächsten Ausgabe berichten.
Tod durch Krähennest im Kamin
Unfälle mit Durchlauferhitzern kommen immer wieder vor. Dies passiert aber öfter in den Nachbarländern, wo noch viele Geräte in Altbauten vorhanden sind. In Belgien zum Beispiel verzeichnete man im Jahr 2010 nicht weniger als 1400 Unfälle durch defekte Gasboiler, 35 Menschen starben. In Wien gab es 2008 sechs Todesopfer durch Kohlenmonoxid. Seit 2004 besteht eine Wartungspflicht für ältere Geräte, die nicht mehr neu installiert werden dürfen. Hier eine kleine Unfall-Chronik.
- Im November 2013 starb in Gelsenkirchen (D) eine 20-Jährige. Das Kohlenmonoxid aus der Gastherme im Bad war nicht abgezogen, weil Krähen im Kamin ein Nest gebaut hatten.
- Im Juli 2013 kamen zwei Jugendliche in einer Alphütte im Salzburger Lungau ums Leben. Sie erstickten durch Kohlenmonoxid aus einer defekten Gasheizung.
- Im Dezember 2011 mussten die Bewohner eines Einfamilienhauses in Zürich ins Spital gebracht werden. Sie hatten eine Gasvergiftung erlitten.
- 2002 fand eine Mutter in Birsfelden ihre Kinder bewusstlos in der Badewanne. Der schlecht gewartete Durchlauferhitzer hatte versagt.
- 2001 starb ein junges Mädchen in einem Maiensäss in Rueras GR. Sie hatte einen Durchlauferhitzer an einer Gasflasche angeschlossen, um warmes Wasser für die Dusche zu erhalten.
- 1999 mussten zwei Altbaumieter aus Chur mit einer Vergiftung ins Spital. Zum Verhängnis war ihnen ein eingeschalteter Dampfabzug bei gleichzeitig laufendem Durchlauferhitzer geworden.
- 1995 starb ein 37jähriger Mann in Luzern in seiner kleinen Küche wegen einem nicht funktionierenden Durchlauferhitzer.
- 1992 erlitten die Gäste im Gewölbekeller eines Restaurants in Frauenfeld eine Kohlenmonoxidvergiftung. Das Gift war wegen eines defekten Duchlauferhitzers in den Saal geströmt.
Unsere Sektionen: Ihre Ansprechpartner für Dienstleistungen & Mitgliedschaft
Als Mitglied des Mieterinnen- und Mieterverbands (MV) profitieren Sie von zahlreichen Vergünstigungen auf die Dienstleistungen unserer Sektionen, wie Mietrechtsberatung, Hilfe bei der Wohnungsabgabe und vielem mehr.
Bitte wählen Sie dazu Ihren Kanton:

- Aargau
- Appenzell-AR / AI
- Baselland
- Basel-Stadt
- Bern
- Freiburg
- Glarus
- Graubünden
- Luzern
- Nidwalden/Obwalden
- Uri
- St. Gallen
- Schaffhausen
- Schwyz
- Solothurn
- Thurgau
- Zug
- Zürich
- Tessin (ASI)
- Westschweiz (Asloca)
-
Freiburg franz. Teil
MV Deutschfreiburg oder Asloca Fribourg (französisch) öffnen?