07.09.2020
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Zürich  | 
News

Ein halbes Leben als Schlichter

36 Jahre im Dienst der Mieterinnen und Mieter: Werner Oetiker war schon Schlichter im Kanton Zürich, als Vermieter noch mündlich kündigen durften und Schlichterinnen und Schlichter wenig zu sagen hatten. Eine Würdigung.

Text: Esther Banz

An einem Montag hat Werner Oetiker seinen Letzten. Wie immer seit 36 Jahren erscheint er zuverlässig am Bezirksgericht Bülach, wo sich auch die Schlichtungbehörde für Mietangelegenheiten im Bezirk befindet. Drei Fälle behandelt sie an jenem Tag Ende Juni, im ersten sind offene Rechnungen nach einem Auszug das Thema und das Depot, das noch nicht zurückbezahlt wurde. Im zweiten Fall verlangt der Vermieter einer Geschäftsliegenschaft Nebenkosten, die vertraglich nicht geregelt sind, und im dritten Fall geht es um einen Konkurs und ausstehende Mietzahlungen.

36 Jahre lang hat sich der 71-Jährige für die Rechte der Mieterinnen und Mieter eingesetzt, zuerst als Beisitzer am Mietgericht in Bülach, ab 1990 bei der dortigen Schlichtungbehörde. Als der Mieterverband noch regional organisiert war, engagierte er sich als Kassier für die Regionalgruppe Zürich Unterland, erfolgreich: «Wir haben die Rechtsberatung stark ausgebaut und erlebten in der Zeit einen starken Zuwachs an Mitgliedern.»

Den Kompromiss gesucht

In den Schlichtungsverhandlungen war er einer, der stets den Kompromiss suchte – auch wenn das viel Zeit in Anspruch nahm. Zwei Stunden sind es offiziell, die im Unterland pro Fall angesetzt sind, «manch einer war verblüfft, wenn ich kurz vor Ablauf dieser Zeit sagte, ich hätte am Abend noch nichts vor …», erzählt der Vater von vier längst erwachsenen Kindern verschmitzt.

Eine seiner Töchter ist Anwältin. Sie habe öfters gesagt: «Recht haben ist nicht Recht bekommen» und das sei ihm gerade kürzlich wieder eingefallen, bei einem Fall, wo die Forderungen weit auseinander lagen: «Der Vermieter wollte 28000 Franken vom Mieter, der Mieter fand, er schulde dem Vermieter rein gar nichts. Das ist eine grosse Differenz. Der Vorsitzende machte den Vorschlag, dass der Mieter etwas weniger als einen Drittel bezahle. Das fanden zwar beide Seiten nicht angemessen, sie waren aber dennoch einverstanden. Zunächst. Dann versuchte die Vermieterseite noch einmal mehr herauszuholen. Ich rechnete kurz vor, was das bedeuten würde, an Gerichts- und Anwaltskosten. Meistens lassen es die Leute dann bleiben mit dem Gang ans Mietgericht – so auch in diesem Fall.»

Immer die Miete zahlen!

Nicht immer konnte Werner Oetiker für «seine» Mieterinnen und Mieter das erkämpfen, was seinem Empfinden nach angemessen gewesen wäre. Vieles sei ja gesetzlich geregelt, «und dann gibt es einen Interpretationsspielraum, den wir ausloten.» Unser Mietrecht sei gut, sagt er, der miterlebt hat, wie es 1990 verbessert wurde, «es muss einfach vernünftig angewendet werden. Und die Angriffe auf den Mieterschutz, die es immer wieder und aktuell gehäuft gibt, müssen abgewendet werden. Es darf keine Verschlechterung geben!»

Traurig machten ihn Fälle, wo sozial benachteiligte Mieterinnen und Mieter auch noch die Wohnung verlieren. «Es ist so wichtig, dass man die Miete bezahlt! Keine anderen Rechnungen sind auch nur annähernd so existenziell wie die Mietrechnungen. Denn wer nicht zahlt, kann innert zweier Monate seine Wohnung verlieren, da ist das Mietgesetz brutal.» Mieterinnen und Mietern rät er ausserdem, sich mit Fragen und Problemen immer zuerst an die Rechtsberatung des Mieterverbandes zu wenden. Und wichtige Korrespondenz mit der Vermieterschaft nicht über WhatsApp oder SMS zu führen, sondern brieflich und eingeschrieben.

Staunen über jüngere Entwicklungen

In jüngerer Zeit hat er beobachtet, dass öfters wegen Totalsanierung gekündigt wird. «Das sind schwierige Fälle», sagt er, «die Vermieter machen es oft geschickt. Wichtig ist, die 30-tätige Frist der Anfechtung nicht zu verpassen, auch wenn die Kündigungsfrist auf den ersten Blick komfortabel aussieht.»

Ein neueres Phänomen sei aber auch, dass Leute die Schlichtungsstelle als Gratis-Rechtsberatung verstehen, beobachtet Werner Oetiker. Denn vor der paritätisch zusammen gesetzten Schlichtungsbehörde hat jeder seinen Interessensvertreter, kostenlos: Mieterinnen und Mietern steht eine Schlichterin oder ein Schlichter des Mieterverbandes zur Seite, für die Gegenseite ist jemand vom Hauseigentümerverband (HEV) beauftragt. Die dritte Schlichtungsbeauftragte ist neutral und hat den Vorsitz. Mitglied des einen oder andern Verbandes muss man nicht sein, um einen Termin bei der Schlichtungsstelle zu erhalten, viele Termine könnte man sich aber sparen, wenn die Leute sich vorgängig bei «ihrem» Verband beraten liessen. «Warum sie das nicht tun, ist mir ein Rätsel» sagt Werner Oetiker. Er macht kein Geheimnis daraus, dass er diese Entwicklung sonderbar findet und auch nichts anfangen kann mit Fällen, bei denen es um Beträge in der Grössenordnung von zwanzig Franken geht.

Bald höchster Bülacher

Am Tag nach seinem letzten Einsatz als Schlichter sitzt der Mietrechtsexperte gut gelaunt in einem Parkcafé und sagt zum Zeitpunkt seines Rücktritts: «Wie immer nach sechs Jahren standen Wahlen für die Schlichtungsstelle an – das schien mir ein guter Zeitpunkt, um aufzuhören.» Pensioniert ist er schon seit einigen Jahren – sein ganzes Arbeitsleben war er bei der SBB, lange in leitender Funktion. Nach einem Tag an der Schlichtungbehörde – rund zehn davon hatte er im Jahr – sei er oft müder gewesen als nach einem regulären AbeitstagArbeitstag: «Schlichten bedeutet auch stundenlanges konzentriertes Zuhören, das ist nicht ohne!»

Dass sein Zuhören respektvoll ist – diese Erfahrung  machten auch die Menschen, die er nicht vertrat. Sozial, hilfsbereit und einfach sympathisch sei der  SP-Lokalpolitiker, sagen Leute, die ihn gut kennen. Nächstes Jahr wird Werner Oetiker Gemeinderatspräsident und somit höchster Bülacher – das erzählt er nicht ohne Stolz.

Verdankung

Der MV Zürich bedankt sich bei allen, die seit dem 30. Juni 2020 nicht mehr als Schlichter*innen und Mietrichter*innen im Einsatz sind, für ihr Engagement und ihren Einsatz für die Mieter*innen im Kanton Zürich:

 

Bezirksgericht Affoltern

  • Gabriele Gisler, Mietrichterin
  • Thomas Herren, Schlichter
  • Christian Moser, Schlichter

 

Bezirksgericht Bülach

  • Ernst Gloor, Schlichter
  • Werner Oetiker, Schlichter

 

Bezirksgericht Dielsdorf

  • Anna Braun, Mietrichterin
  • Monika Vogel-Jost, Mietrichterin
  • Robert Eisenegger, Schlichter
  • Maya Lohrer Rusch, Schlichterin
  • Andrea Steiner Lettoriello, Schlichterin
  • Andreas Zurbuchen, Schlichter

 

Bezirksgericht Dietikon

  • Monika Vogel-Jost, Mietrichterin
  • Kurt Zurgilgen, Mietrichter
  • Inge Suter, Schlichterin
  • Therese Wolf, Schlichterin

 

Bezirksgericht Hinwil

  • Anna Braun, Mietrichterin
  • Federico Gonzalez del Campo, Mietrichter
  • Gaby Merz, Schlichterin

 

Bezirksgericht Horgen

  • Irène Biber Lutz, Mietrichterin
  • Esther Angele, Schlichterin
  • Kurt Zurgilgen, Schlichter

 

Bezirksgericht Meilen

  • Monika Vogel-Jost, Mietrichterin
  • Maria Lüthold Luz, Schlichterin

 

Bezirksgericht Pfäffikon

  • Stefan Rüfenacht, Schlichter

 

Bezirksgericht Uster

  • Silvi Dominguez, Schlichterin

 

Bezirksgericht Winterthur

  • Ernst Gloor, Mietrichter
  • Annette Grieder-Martens, Mietrichterin
  • Martin Bärtschi, Schlichter
  • Birgül Gedik, Schlichterin

 

Bezirksgericht Zürich

  • Florian Gerber, Mietrichter
  • Annette Grieder-Martens, Mietrichterin
  • Andrea Steiner Lettoriello, Mietrichterin
  • Martha Arnold, Schlichterin
  • Françoise Bassand, Schlichterin
  • Heidi Bonert, Schlichterin
  • Paul Breitenmoser, Schlichter
  • Tina Forrer, Schlichterin
  • Iris Ichsanov, Schlichterin
  • Isabel Maiorano, Schlichterin
  • Dominique Marchand, Schlichterin
  • Patricia Millet, Schlichterin
  • Regula Mühlebach, Schlichterin
  • Philipp Renz, Schlichter
  • Claude Roy, Schlichter
  • Niklaus Scherr, Schlichter
  • Peter Weil Jochi, Schlichter
  • Beni Widmer, Schlichter
  • Eva Wirth, Schlichterin