01.01.2023
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Luzern

100 Jahre MV Luzern

1923 gegründet und hundert Jahre später immer noch top aktuell: Der Mieterinnen- und Mieterverband feiert dieses Jahr das 100-jährige Jubiläum. Während dem Jubiläumsjahr werfen wir regelmässig einen Blick zurück - oder auch voraus - und greifen das Jubiläum an verschiedenen Anlässen auf.

1923: Gründung aus der Not heraus

Obwohl die Schweiz vor direkten Kriegshandlungen verschont geblieben war, präsentierte sich die Situation der breiten Bevölkerung nach Ende des Ersten Weltkriegs desaströs: Arbeitslosigkeit, Hunger und Wohnungsnot waren allgegenwärtig. 

In den Nachkriegsjahren mussten die Wohnungsämter regelmässig Notwohnungen vermitteln und da auch die feuchtesten und dunkelsten Räume noch vermietet wurden, kam es Überbelegungen und hygienischen Problemen. Hinzu kam, dass die drückende Wohnungsnot von vielen Vermietern skrupellos ausgenutzt wurde und die Mietzinsen förmlich explodierten.

In dieser Zeit kam es wiederholt zu Zusammenschlüssen von Mieterinnen und Mietern. 1923 war die Zeit dann reif, den "Mieterverein von Luzern und Umgebung" zu gründen und die verschiedenen bestehenden Organisationen abzulösen.

1920er/1930er Jahre: Konsolidierung und Verankerung

Die Stossrichtung des neu gegründeten Verbands war von Beginn an klar. Es soll neuer Wohnraum geschaffen werden. Moderne, hygienische und genügend grosse Wohnungen, die für die Arbeiter*innenfamilien bezahlbar sein sollen.

Bereits 1924 erfolgte aus den Reihen des MV heraus die Gründung der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern ABL. 1929 lancierte der MV das "Volksbegehren zur Förderung des Wohnungsbaus in der Stadt Luzern." Im Folgejahr wurde der vom Stadtrat unterbreitete Gegenvorschlag zur finanziellen Förderung des Wohnungsbaus von den Stimmberechtigten angenommen.

In den 1930er Jahre erfolgte der erste Austausch mit den Hauseigentümern zu einem gemeinsamen "Mietvertragsformular". Der "Luzerner Mietvertrag", ausgehandelt vom MV Luzern, dem Hauseigentümerverband Luzern HEV und dem Schweizerischen Verband der Immobilien-Treuhänder SVIT, besteht noch heute und wurde 2020 das letzte Mal umfassen überarbeitet.

1939-1948: Erneut Krieg und Krise

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs spitzte sich die Wohnsituation rasch wieder zu. Zuerst waren es vor allem die finanziellen Belastungen, die im Zentrum standen. Den Familien von Aktivdienst leistenden Soldaten fehlte plötzlich das Einkommen, die Miete zu bezahlen. Die obligatorischen Schutzräume wurden auf Kosten der Mieterinnen und Mietern erstellt und die Heizkosten stiegen rasch an. 

Im Verlaufe des Krieges wurde aber der Mangel an Baumaterialien ein immer drängenderes Problem, dass sich auch über das Ende des Krieges hinaus zog. Noch 1948 forderte der MV die Verschiebung der offiziellen Kündigungstermine, da aus Mangel an Baumaterial nicht genügend Wohnungen gebaut werden konnten.

Im Gegensatz zur Situation nach dem Ersten Weltkrieg gelang es diesmal, einen Teil der notrechtlichen Schutzbestimmungen weiter führen zu können. 1952 stimmten die Stimmberechtigten für deren Fortführung.

1950er-1970er: Hochkonjunktur und Bauboom

Der Bauboom der Nachkriegszeit löste zwar vordergründig das Wohnraumproblem, schaffte aber neue Herausforderungen. Der Mieterverband forderte vermehrt den Bau von qualitativ guter Mehrfamilienhäuser statt der einseitigen Förderung von Einfamilienhäuser mit der damit verbundenen Zersiedelung. 

Aktuell blieb auch das Seilziehen um die Fortführung von Mietzinskontrollen und Kündigungsschutz. Abstimmungen gingen mal zugunsten, dann wieder zuungunsten der Mieter*innen aus. Schlussendlich führten diese politischen Kämpfe zur Einrichtung von Schlichtungsstellen gegen Missbräuche im Mietwesen 1972 und zur Formulierung des Mieterschutzartikels in der Bundesverfassung 1986.

1970er/1980er: Der Druck nimmt wieder zu

Um aus der Wirtschaftskrise von 1975 herauszukommen, forcierte der Bund den massiven Bau von Einfamilienhäuser. Der MV kritisierte die damit verbundene Zersiedelung und prangerte die gleichzeitig stattindende Vernichtung preisgünstigen Wohnraums an.

Schon 1969 kritisierte der MV den Abbruch des alten Kantonalbank-Hauptgebäudes in Luzern. Zusammen mit der SP wurde 1971 die Initiative zur "Erhaltung von Wohnraum" lanciert. Die Abbruchwelle und die Umwandlung von Wohn- zu Geschäftsräumen führte in den Städten bald zu einer Wohnungsnot. Bis 1990 sank die Leerwohnungsziffer im ganzen Kanton Luzern auf 0.24%.

Zahlreiche Hausbesetzungen, u.a. im heutigen Restaurant Einhorn an der Hertensteinstrasse, im Löwengraben, an der Gibraltarstrasse 2 oder im Schlössli Schöneck führten in der Öffentlichkeit zu emotionalen Diskussion. Der MV positionierte sich nach anfänglichen Diskussionen hinter dem Bedürfnis nach Wohnraum und leistete Vermittlungsdienste zwischen den Bewohner*innen der besetzten Häuser und Behörden.

ab 1980: Neue Strukturen und Beratungsangebote

Die politischen Herausforderungen der 1970er/1980er Jahre führten auch beim MV zu Veränderungen. Ab 1980 wurde die Rechtsberatung ausgebaut, die von da an von engagierten Fachpersonen in den Räumen des Luzerner Gewerkschaftsbundes angeboten wurde. 1986 wurde ein ständiges Sekretariat eingerichtet, mit Räumlichkeiten an der Mythenstrasse 2 in Luzern und der erstmaligen Anstellung einer Sekretärin in einem 50% Pensum.

Neu aufgestellt und mit einem ansprechenden Beratungsangebot gelang es dem MV, sich in breiten Kreisen zu verankern. Die Mitgliedszahlen stiegen von knapp 4'000 anfangs der 1980er Jahre auf 8'000 Mitglieder bis 1993.

2001 schloss sich der "Mieterverein Ob- und Nidwalden" und 2004 der Mieterverband Uri dem MV Luzern an. Die Mitgliedschaft umfasst heute knapp 12'000 Personen.

1990 bis heute: Neue politische Erfolge

Die Wirtschaftskrise der 1990er Jahre führte zum Hervorkramen der selben Ideen, die bereits früher zur Anwendung kamen. Das Mietrecht wurde laufend dereguliert, Rechte der Mieter*innen ausgedünnt und der Mietschutz ausgesetzt. Die Einführung und Stärkung der "Marktmiete" soll zu vermehrter Bautätigkeit führen - notabene zu Lasten der Mieter*innen, welche die höheren Renditen mit ihrem Mietzins zu bezahlen haben.

Obwohl dieser Angriff auf den Schutz der Mieter*innen bis heute andauert, gelang dem MV in dieser Zeit auch immer wieder politische Erfolge. Besonders hervorzuheben seien hier die "Initiative für zahlbaren Wohnraum", die 2012 von den Stimmberechtigten der Stadt Luzern angenommen wurde und den Anteil gemeinnütziger Wohnungen innert 25 Jahren von 14 auf 16% erhöhen will und die verschiedenen Gemeindeinitiativen, die dem Verkauf von gemeindeeigenem Land einen Riegel schieben und dieses Land so dauerhaft der Spekulation entzieht. 

Zuletzt gelang es dem MV auf kantonaler Ebene mit der Initiative für transparente Vormieten einen Erfolg zu erzielen. Dank der MV Initiative muss seit dem 1. November 2021 bei Abschluss eines Mietvertrags der vorherige Mietzins bekannt gegeben werden. Allfällige Erhöhungen müssen begründet werden und können innert 30 Tagen angefochten werden.

Und die Zukunft?

Die Herausforderungen sind gross. Erneut herrscht Wohnungsnot, steigende Zinsen und die Teuerung werden wohl bald zu Mietzinserhöhungen führen und die hohen Energiekosten belasten die Haushalte bereits jetzt.

Gleichzeitig muss uns in den nächsten Jahren der energetische Umbau hin zu effizienten und treibhausgasfreien Heizsystemen gelingen, während der Druck, dies zu Lasten der Mieter*innen zu finanzieren, hoch ist. 

Aber egal, wie wir in nochmals hundert Jahren wohnen werden, die Lösung für die Probleme der Mieter*innen bleibt die selbe wie heute oder auch schon 1923: Sich gemeinsam und solidarisch zusammenschliessen, die eigenen Rechte kennen und einfordern können und für mehr und besseren Schutz kämpfen.