21.01.2021
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MV  | 
Medienmitteilung

Trendwende in der europäischen Wohnungspolitik

Das Europäische Parlament hat heute einen Bericht verabschiedet, der einen verstärkten Schutz für Mieter*innen, bezahlbaren Wohnraum sowie ein einklagbares Recht auf angemessenes Wohnen fordert. Der Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz (MV) und der Internationale Mieterverband (IUT) begrüssen das Abstimmungsergebnis als eine Trendwende in der europäischen Wohnungspolitik – weg von der Marktorientierung hin zu einem verbesserten Schutz der Mieter*innen.

Im Europäischen Parlament ist es gelungen, eine Mehrheit von 352:179 Stimmen (152 Enthaltungen) für den weitreichenden Initiativbericht «Zugang zu angemessenem und bezahlbarem Wohnraum» zu erreichen. Marie Linder, Präsidentin der Internationalen Mieterverbandes, begrüsste das Abstimmungsergebnis als eine Trendwende in der europäischen Politik: «Das Europäische Parlament hat heute den Weg aufgezeigt, wie die überfälligen Veränderungen auf den Wohnungsmärkten erreicht werden können. Während die nationalen Regierungen immer noch glauben, dass der Markt alle Wohnungsprobleme lösen wird – mit verheerenden Folgen für bezahlbaren Wohnraum in Europa – zeigt das EU-Parlament der Spekulation die rote Karte und fordert einen Zugang zu angemessenem und bezahlbarem Wohnraum für alle.»
 
Für Carlo Sommaruga, Präsident des Mieterinnen- und Mieterverbandes Schweiz zeigt der Bericht des EU-Parlaments die Notwendigkeit und Dringlichkeit für staatliche Massnahmen in den Bereichen Mietpreiskontrolle, Mieter*innenschutz und Schutz vor Leerkündigungen, beispielsweise bei Sanierungen. «Das gilt auch für die Schweiz, dem Land europaweit mit dem höchsten Anteil an Mieter*innen. Es ist an der Zeit, dass die Schweizer Regierung und die Kantonsregierungen mit langfristigen, soliden Programmen sicherstellen, den Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu lösen und dass sie das Problem der rasant steigenden Mieten anpacken.»
 
Wohnen ist der höchste Ausgabenposten der europäischen Bürger*innen. 156 Millionen Menschen in Europa sind armutsgefährdet, wenn man die Wohnkosten berücksichtigt – und die Situation verschärft sich im wirtschaftlichen Abschwung der Pandemie.
 
Die EU-Kommission muss nun auf diesen Initiativbericht reagieren und geeignete gesetzgeberische und finanzielle Massnahmen vorschlagen, die sodann von den EU-Mitgliedsstaaten vereinbart und gebilligt werden müssen. «Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein: Für einen Aufschwung nach der Pandemie wird sich Europa auf ein grünes und bezahlbares Wohnen konzentrieren müssen», so Marie Linder.

 
Forderungen des Initiativberichts «Zugang zu angemessenem und bezahlbarem Wohnraum»:

  • Mieter*innenschutz durch unbefristete Mietverträge als Standardoption statt Gentrifizierung und Verdrängung,
  • Mietpreisstabilisierung und klare nationale Mietregelungen statt explodierender Mietsteigerungen und Wuchermieten durch weitere Marktliberalisierung
  • eine Wohnungspolitik, die auf dem Prinzip der Neutralität zwischen Wohneigentum, privatem und geförderten Mietwohnraum basiert, statt einer einseitigen Bevorzugung von Wohneigentum
  • Ein mieter*innenfreundlicher EU Green Deal mit Wohnkostenneutralität nach Renovierung und Sanierung (Mieterhöhungen müssen vollständig durch Energieeinsparungen ausgeglichen werden) statt «Renovictions» (Vertreibung durch Renovierung) bei voller Beteiligung der Mieter*innen.
  • Förderung von Investitionen in bezahlbaren, sozialen und öffentlichen Wohnungsbau statt unreguliertem, unbegrenztem Marktzugang für profitorientierte Investoren und Finanzialisierung der Märkte durch entfesselte Spekulation und Ausverkauf der Städte.
  • Ein restriktives Rahmenwerk für Kurzzeitvermietungen in der EU. Änderung des «Gesetzes für digitale Dienstleistungen» (Digital Services Act), um den nationalen Regierungen Möglichkeiten zu bieten, die «Touristifizierung» der Städte zu verhindern. Genehmigungsbeschränkungen und Zonierungsrichtlinien, um das öffentliche Interesse der Erschwinglichkeit von Wohnraum im Einklang mit dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu wahren
  • Moratorium von Energieabschaltungen im Winter
  • Umsetzung des finnischen «Housing first»-Programms in ganz Europa zur strukturellen Bekämpfung der Obdachlosigkeit
  • Beseitigung von Investitionshemmnissen im EU-Wettbewerbsrecht durch Streichung der engen Zielgruppe für den sozialen Wohnungsbau («sozial benachteiligte Haushalte») in den EU-Beihilfevorschriften und Reform des EU-Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung, um massive Investitionen in die Wohnungsbau-Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) zu ermöglichen, anstatt die EU-weite Investitionslücke im Wohnungsbau von 57 Milliarden Euro pro Jahr weiter zu vergrössern
  • Schutz gefährdeter Gruppen auf dem Wohnungsmarkt. Mieter*innenschutz, Sicherheit des Wohnraums, fairer und gleichberechtigter Zugang zu bezahlbarem Wohnraum für kleine und mittlere Einkommensgruppen statt spekulativer Verdrängung von Menschen mit essentiellen Berufen aus den Städten

 

Dies ist eine gemeinsame Medienmitteilung des Mieterinnen- und Mieterverbandes Schweiz (MV) und des Internationalen Mieterverbandes (IUT).