14.12.2018
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Kommentar

Der Nationalrat hat versagt

Der Nationalrat hat die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» abgeschmettert – und sich damit gegen die Mietenden in der Schweiz gestellt. Unser Kommentar zum Entscheid.

Sie gehe zu weit und sei zu teuer: So hat der Nationalrat die Wohninitiative abgeschmettert, mit 143 gegen 54 Stimmen. Praktisch nur die Linksparteien standen auf der Seite der Mietenden. Das bedeutet, dass in bürgerlichen Kreisen nach wie vor die Einsicht in die Wohnkrise fehlt. Stattdessen klammert man sich ans Dogma vom funktionierenden Markt. Wo leben diese Politikerinnen und Politiker eigentlich? Nationalrat Beat Jans mahnte: «Schauen Sie die Realitäten in unseren Städten an, nehmen Sie die Bevölkerung ernst!» Er stiess auf taube Ohren.

Die Initiative gehe zu weit? Nein, sie ist vielmehr moderat. 10 Prozent der Wohnungen sollen künftig gemeinnützig sein, d.h. mit bezahlbaren Mieten. 90 Prozent wären dann immer noch gewinnorientiert, d.h. oft überzahlt. Und das soll «zu weit» gehen? Die Initiative ist auch keineswegs zu teuer. Im Gegenteil, sie bringt der öffentlichen Hand Geld. Denn ein Vorkaufsrecht und Baurechtszinsen spülen regelmässig und risikolos schöne Beträge in die öffentlichen Kassen. Und das soll «zu teuer» sein? Es zeigt sich: Die Immobilienlobby hat die Köpfe fest im Griff. Die Realität bleibt aussen vor.

Als Beruhigungspille lässt der Nationalrat den Darlehensfonds für Genossenschaften stehen. So wie er ist. Die Immobilien-Hardliner wollten ihn auch noch abschaffen. Sie mögen keine lästige Konkurrenz durch günstige Mieten, die nur auf die Renditen drücken. Was heisst das konkret? Mit dem beschlossenen Rahmenkredit von 250 Mio. Franken kann keine einzige Wohnung mehr gefördert werden als bisher. Alles bleibt beim Alten. Der Auftrag der Verfassung, für bezahlbare Wohnungen zu sorgen, wird weiterhin nur auf dem tiefstmöglichen Niveau umgesetzt. Und das auch nur mit einer politischen Erpressung. Denn wenn die Initiative nicht zurückgezogen wird, soll es für die Genossenschaften gar nichts mehr geben. So die Drohung von FDP-Bundesrat Schneider-Ammann (Video s. unten).

Nüchtern betrachtet, hat der Nationalrat mit seinen Beschlüssen verhindert, dass die gemeinnützigen Genossenschaften ihren viel zu tiefen Marktanteil von 5 Prozent erhöhen können. Die Immobilienwirtschaft hat weiterhin 95 Prozent des Milliardenkuchens auf sicher, und zwar konkurrenzlos. Aus der Sicht der Mietenden blockiert Bern, dass mehr Menschen in den Genuss von günstigen Mieten kommen. Vor allem solche, die es nötig hätten. Ausserdem hat man keinen Streich dafür getan, dass der Milliarden-Beschiss an den Mietenden endlich gestoppt wird. Wir zahlen zu viel Miete, weil das im Mietrecht verankerte Prinzip der Kostenmiete nicht durchgesetzt wird.

Fazit: Der Nationalrat hat versagt. Es bleibt noch der Ständerat. Und schliesslich das Volk, das über die Wohninitiative dereinst abstimmen wird. Und es bleiben die Wahlen im Herbst 2019. Dann können – nein, müssen die Mietenden an der Urne die Quittung erteilen. Die Interessen der Bevölkerungsmehrheit dürfen nicht länger so dreist übergangen werden.

Ein Kommentar von Ralph Hug, M+W

Das unsägliche Votum von Bundesrat Johann Schneider-Ammann im Video