11.06.2016
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Kein Freipass für Überwachungskameras

Vermieter dürfen in Wohnblocks nicht nach Belieben Videokameras aufstellen. Selbst wenn eine Mehrheit der Mieter dafür ist.

Im öffentlichen Raum werden immer mehr Videokameras aufgestellt. Sie sollen Verbrechen verhindern bzw. zu ihrer Aufklärung beitragen. Ist es da ein Wunder, dass auch Vermieter auf die Idee kommen, Überwachungsanlagen zu installieren? So geschehen in einer Siedlung mit drei Wohnblocks und insgesamt 23 Wohnungen im Kanton Baselland. Die Besitzer stellten eine Überwachungsanlage mit 12 Kameras auf, weil es in der Siedlung zu Einbrüchen und Vandalenakten gekommen war. Die Kameras wurden nicht nur im Aussenbereich, sondern auch vor Hauseingängen, in den Gärten zweier Mieter und in der Tiefgarage sowie in den Zugängen zur Waschküche installiert. Die Aufzeichnungen sollten jeweils nach 24 Stunden überspielt werden.

Mieter verlangt die Entfernen von Videokamera

Die Liegenschaftsbesitzer stellten die Kameras einfach auf, ohne die Mietenden zu informieren. Erst als sich ein Mieter beschwerte, hängten sie einen Zettel auf. Eine Umfrage ergab dann, dass 18 von 23 Mietpartien einverstanden waren. Die Leute hofften, damit vor solchen Gefahren geschützt zu sein. Ein Mieter jedoch verlangte die Entfernung der Kameras. Ihn störte, dass alle Personen gefilmt würden, die ein- und aus gingen. Dies verletze die Privatsphäre. Die Vermieter stellten sich taub. Da zog der Mieter vor die Schlichtungsstelle. Es gab dort aber keine Einigung, weshalb er vor Gericht klagte. 

Das Zivilkreisgericht gab ihm teilweise Recht. Es erachtete die Kameras im Hauseingangsbereich als unzulässig. Dabei kam das Datenschutzrecht zur Anwendung. Die Vermieter zogen den Fall jedoch weiter ans Kantonsgericht. Dort erlitten sie aber eine weitere Schlappe. Die Zweitinstanz fand sogar, dass nicht nur die Überwachung der Hauseingänge, sondern auch der Zugänge zu den Waschküchen zu tief ins Persönlichkeitsrecht der Mieter eingreife. Die unzufriedenen Vermieter riefen darauf das Bundesgericht an.

Detaillierte Abwägung ist im Einzelfall unabdingbar

Das Urteil aus Lausanne ist bedeutsam, weil es bis jetzt noch keine höchstrichterliche Aussage zum Problem der Videoüberwachung in Wohnsiedlungen gibt. Die Richter der I. zivilrechtlichen Abteilung, die für Mietstreitfälle zuständig sind, schlossen sich der Meinung des Kantonsgerichts an. Deshalb müssen die Vermieter die drei Kameras vor den Eingängen sowie vor den Waschküchen definitiv wieder abmontieren. Sie verletzen das Recht. Die übrigen Kameras hingegen sind gesetzeskonform und dürfen stehen bleiben. 

Das Bundesgericht betont im Urteil, dass eine Videoüberwachung im Wohnbereich nicht an sich schon unzulässig sei, selbst bei Hauseigängen nicht. Es müsse jedoch in jedem Fall der Schutz der Privatsphäre gegen die Eigentumsgarantie der Vermieter abgewogen werden. «Eine konkrete Interessenabwägung unter Einbezug sämtlicher Umstände des Einzelfalls ist unabdingbar», so das höchste Gericht. Genau dies hatte die Vorinstanz getan. Und deshalb schützte das Bundesgericht auch den sehr differenzierten Entscheid des Kantonsgerichts. Dieses hatte argumentiert, bei der Überwachung der Eingänge und der Durchgänge zur Waschküche werde die Privatsphäre übermässig beeinträchtigt. Solche Kameras seien durch die Ziele, Vandalismus und Einbrüche zu verhindern, nicht ausreichend gerechtfertigt und müssten deshalb abmontiert werden.

Videokamera verstösst gegen Datenschutzrecht

Die Rechtsvertreterin des klagenden Mieters, Renate Jäggi, ist mit dem Schiedsspruch aus Lausanne zufrieden, «soweit man zufrieden sein kann». Immerhin bleiben ja noch neun Kameras in Betrieb. Die Rechtsanwältin hatte sich aufs Datenschutzrecht berufen, aber auch darauf, dass Erneuerungen und Änderungen an der Liegenschaft nur soweit erlaubt sind, wie sie für die Mieter zumutbar sind. Doch auf letztere Argumentation gingen die Gerichte nicht ein.

Sollten weitere Vermieter in Siedlungen Video-Überwachungsanlagen gegen Einbrecher und Vandalen montieren, so müssen sie sich vorher die Frage stellen, ob sie nicht gegen das Datenschutzrecht verstossen. Mietende, die um ihre Privatsphäre fürchten, haben angesichts des neuen Entscheids aus Lausanne gute Chancen, wenn sie gegen übereifrige Vermieter vorgehen. Aber es braucht eine genaue Beurteilung der vorliegenden Umstände. Der Fall Baselland weist dabei den Weg.

Videoüberwachung: Das sagt der Datenschutzbeauftragte

Videoüberwachungssystem dürfen nur dann eingesetzt werden, wenn sie recht- und verhältnismässig sind. Das heisst, sie sind nur zulässig, wenn der Eingriff in die Persönlichkeit durch die Zustimmung der betroffenen Personen, durch ein überwiegendes privates Interesse oder durch ein Gesetz gerechtfertigt ist. Auch muss die Überwachung geeignet sein, den verfolgten Zweck zu erreichen. Sie darf auch nur dann angewendet werden, wenn sich andere Massnahmen, die das Privatleben weniger beeinträchtigen, als ungenügend erweisen, zum Beispiel zusätzliche Verriegelungen, Verstärkungen der Eingangstüren oder Alarmsysteme. Beim Platzieren der Kameras in Siedlungen muss darauf geachtet werden, dass nur der eigene Grund und Boden gefilmt wird. Werden gemeinschaftlich genutzte Bereiche erfasst, so setzt dies das Einverständnis sämtlicher Mitbewohner der Liegenschaft voraus. Zudem müssen Hinweise auf die Existenz der Anlage gut sichtbar angebracht werden.

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