13.09.2016
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News

«Alles läuft über Wettbewerbsklagen»

In der EU entbrannte ein Kampf um den sozialen Wohnungsbau. Barbara Steenbergen vom Internationalen Mieterbund spricht von einer Herausforderung für die Mieterbewegung».

«Wir befinden uns in Europa alle in einem grossen Markt. Die Herausforderung für uns ist es, in diesem Binnenmarkt nicht unterzugehen. Wir haben nämlich ein ganz besonderes Gut  zu schützen, nämlich das bezahlbare Wohnen. Dieses Gut ist von einer mächtigen und unglaublich gut finanzierten Immobilienlobby bedroht. Wie geht diese vor? Sie reicht bei der EU bzw. der dafür zuständigen Generaldirektion Wettbewerbs- und Konkurrenzklagen gegen Gemeinnützige und soziale Wohnungsbaufirmen ein, weil diese angeblich Wettbewerbsvorteile hätten. Sie bekämen von den Städten günstiges Bauland oder auch günstigere Kredite. Und das seien Beihilfen, die nicht EU-konform und wettbewerbswidrig seien.

Nur die Ärmsten sollen noch bezahlbaren Wohnraum haben

Wir beschäftigen uns in Brüssel schon seit langem mit solchen Klagen von Immobilienfirmen und Pensionsfonds. Im Jahr 2006 ging es mit einer Klage der European Property Federation los, des Europäischen Grundbesitzerverbands. Hier sind auch die grossen Fonds und institutionellen Anleger vereinigt. Sie sagten zum Beispiel, in Schweden habe es viel zu viel öffentlichen und bezahlbaren Wohnungsraum. Und das schmälere ihre Chancen auf den Marktzugang. Deshalb müssten diese weg. Das war die erste Klage. Dann ging es Schlag auf Schlag. 

Die zweite Klage wurden gegen die Niederlande lanciert. Dort besteht eine ganz besondere Situation, weil es noch 30 Prozent sozialen Wohnungsbau gibt. Sie sagten, es müsse mehr Raum für die Privaten geben, und klagten direkt auf Senkung der Einkommensgrenzen. Das heisst, nur noch die Ärmsten der Armen sollten Zugang zu bezahlbarem Wohnraum haben und nicht mehr breite Schichten der Bevölkerung. Die letzte Klage gegen einen Staat wurde in Frankreich lanciert. Auch hier wurde direkt auf Senkung der Einkommensgrenzen geklagt. Das Ziel war die Verkleinerung des Angebots an bezahlbarem Wohnraum.

Künstliche Marktverknappung durch Baustopp

Bei diesen Länderklagen geht es darum, der Spekulation Tür und Tor zu öffnen und über eine künstliche Marktverknappung die Preise wieder in die Höhe zu treiben. In all den verklagten Ländern – auch Belgien und Luxemburg sind im Visier – kommt es zum ersten Mal zu einem kompletten Baustopp. Damit haben diese Kläger ihr Ziel schon erreicht. Baustopp heisst eben auch künstliche Marktverknappung. Es ist nicht einfach, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Wir beim Internationalen Mieterbund IUT sind nur ein kleines Büro, wir arbeiten zu zweit dort. Umso wichtiger ist es, dass wir starke Mitgliedsverbände haben, die uns von zuhause aus unterstützen und laut sagen: «Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen!» Es ist aber ein Spiel «David gegen Goliath». 

Wir versuchen, diese Klagen, die in den Hinterzimmern der europäischen Kommission eingereicht werden, ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Wir versuchen, möglichst viele Leute mit Überzeugungsarbeit auf unsere Seite zu ziehen. Es ist ein langwieriges Spiel, nicht immer erfolgreich, aber wir haben nichtsdestotrotz schon einiges erreicht. Immerhin haben sich in den drei genannten Ländern bereits die Parlamente mit diesen Klagen beschäftigt. In den Niederlanden haben wir die Sache inzwischen auf einen guten Weg bringen können. 

Demgegenüber gibt es auf der europäischen Ebene auch positive Entwicklungen. Wir machen uns beispielsweise für die Gemeinnützigen und die Genossenschaftsidee stark. Wir versuchen, die Gremien in Brüssel von dieser Idee zu begeistern. Wir müssen wieder zu dieser alten Stärke und zu diesem Stolz zurückfinden, den unsere Gründer gehabt haben. Und wir müssen heute laut sagen: Bis hierher und nicht weiter! Es hat genug Spekulation gegeben, nun ist Schluss. 18 Monate lang haben wir uns mit den europäischen Sozialvermietern zusammengetan und haben mit ihnen einen Verhaltenskodex für eine verantwortungsvolle Wohnungswirtschaft verhandelt. Das ist die erste Vereinbarung auf europäischer Ebene zwischen Mieter- und Vermieterverbänden. Darin gibt es auch Regeln für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen. 

In Brüssel können wir keine mietrechtlichen Dinge regeln, denn das Mietrecht ist immer Sache der Mitgliedsländer. Wir können hingegen Bodenpolitik machen. So haben wir es zusammen mit den sozialen Vermieterverbänden geschafft, die europäischen Strukturfonds zu knacken. Seit 2009 können mit europäischen Mitteln sowohl Sozialbauten als auch Energiesanierungen finanziert werden. Da ist viel Geld im Spiel. Leider ist die Schweiz nicht dabei. Auch beim Juncker-Plan, dem neuen Pakt für strategische Investitionen, wird ein grosser Teil der Gelder zum Bau von sozialem Wohnraum verwendet werden können. 

Kleine Erfolge sind also da, und wir müssen uns nicht verstecken. Wichtig ist, dass wir ganz genau verfolgen, wie unsere Gegner arbeiten, wie die Grossinvestoren agieren und welche Machtstrukturen sich durchsetzen. Unsere Forderung ist: Die europäische Kommission muss mit uns auf Augenhöhe reden und nicht immer nur mit den Finanziers und den Banken. Nach acht Jahren haben wir eine so genannte «Partnerschaft für Wohnen» hingekriegt, die aus der europäischen Kommission, allen zuständigen Generaldirektionen, den Mitgliedstaaten, der Europäischen Investitionsbank und aus der IUT als einziger Konsumentenorganisation besteht. Wir sitzen also mit am Tisch und können mitverhandeln. Wir wissen, was läuft und können auch rechtzeitig die Weichen stellen.» 

Barbara Steenbergen

Sie stammt aus Köln und leitet seit 2008 das Brüsseler Büro des Internationalen Mieterbunds (IUT). Damit vertritt sie die Interessen der Mieterbewegung in der EU-Zentrale. Die obigen Ausführungen hielt sie als Gast am 125-Jahr-Jubiläum des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich.