18.07.2016
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Anfangsmieten: Urteil schaffte Klarheit

Wer bei Wohnungsnot eine Anfangsmiete anficht, muss nicht auch noch eine persönliche Notlage nachweisen.

4200 Franken für Dreieinhalbzimmer-Wohnung

Ein Entscheid aus Lausanne macht es jetzt leichter, überhöhte Anfangsmieten anzufechten. Denn die höchsten Richter präzisierten einen Paragrafen, den manche Gerichte bisher zu eng auslegten. Der Streit drehte sich um eine neu eingebaute Dreieinhalbzimmer-Dachwohnung in Zürich, die 3'900 Franken pro Monat plus 300 Franken Nebenkosten kostet. Die Mieter fochten dies als überteuert an und verlangten eine Senkung um 1100 Franken. Das Zürcher Obergericht goutierte das nicht und wies die Klage ab: Die Mieter hätten neben der Wohnungsnot auch noch eine persönliche Notlage geltend machen sollen.

Die Gesetzesbestimmung von Art. 270 OR besagt, dass man einen Anfangsmietzins anfechten kann, wenn man sich in einer Zwangslage befindet. Das heisst, wenn eine persönliche oder familiäre Notlage besteht oder wenn Wohnungsnot herrscht. Das Zürcher Obergericht meint, beide Voraussetzungen müssten gegeben sein. Doch das ist falsch, wie das Bundesgericht jetzt präzisiert: Wohnungsnot allein muss als selbstständige Anfechtungsvoraussetzung zugelassen werden. Die Mieter hatten vorgebracht, dass zur Zeit des Vertragsabschlusses in der Stadt Zürich nur 0,11% und im ganzen Kanton nur 0,61% der Wohnungen leer standen. Ein Leerstand unter 1% gilt allgemein als Wohnungsnot. 

Das Obergericht hatte von den Mietern verlangt, sie müssten zusätzlich nachweisen, dass sie erfolglos eine Wohnung gesucht hatten, und zwar auch ausserhalb der Stadt Zürich. Das Bundesgericht beruft sich auf die Entstehungsgeschichte des Paragrafen. Der Gesetzgeber habe den Missbrauch eines Marktungleichgewichts verhindern wollen. Da genüge schon der Nachweis eines Markts, der nicht funktioniert. Es brauche nicht auch noch den Nachweis einer persönlichen Notlage. Zudem traten die Bundesrichter dem Argument entgegen, die amtlichen Leerwohnungsstatistiken könnten keinen verlässlichen Aufschluss über die Wohnungsnot geben: So lange sie aktuell und differenziert seien, genügten sie als Beweis.

Hauseigentümerkreise sprechen von betriebenem Mieterschutz

Das Urteil erregte ziemliches Aufsehen. «Hauseigentümer fürchten Klageflut» hiess es etwa. Dem HEV nahestende Medien wie die NZZ sprachen von einem «übetriebenen Mieterschutz» und wollten weismachen, dass die Schweiz einen «gut funktionierenden Wohnungsmarkt» habe, für den sie im Ausland «bewundert» werde. Der Markt mit den mit Abstand höchsten Preisen Europas wird wohl nur in der Falkenstrasse bejubelt. Gerade das Streitbeispiel beweist, dass der Wohnungsmangel brutal ausgenützt wird. Hier will offenkundig ein Eigentümer noch mehr Ertrag aus seiner Liegenschaft herausholen, indem er eine Dachwohnung einbauen lässt und diese nun zu einem sündhaften Preis vermietet.
Wird die Anfechtung der Anfangsmiete etwas leichter, so können sich Mietende besser gegen solche Missbräuche wehren. Dass nun eine «Klageflut» entstehen soll, ist reine Panikmache der HEV-Funktionäre. Im Jahr 2014 gab es gut 800 Anfangsmiete-Anfechtungen, dies bei geschätzten 350'000 Vertragsabschlüssen pro Jahr. Die Klagen bewegen sich somit im Promillebereich. Das wird auch künftig so bleiben, welbst wenn es vermehrt Klagen gibt. Schon eher wäre zu fragen, weshalb sich Hauseigentümerkreise so reflexartig gegen minimste Verbesserungen beim Mieterschutz stemmen, obwohl sich diese ja nur gegen die schwarzen Schafe richten und korrekte Vermieter nicht im mindesten betreffen.

Urteil BGer 4A_691/2015 vom 18. Mai 2016