06.11.2015
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Ein «Bschiss» mit Minergie

Wo Minergie drauf steht, da sollte auch Minergie drin sein. Nicht so in einer Swiss-Life-Überbauung in Kaiseraugst.

«Herzliche Gratulation, Sie bewohnen ein Gebäude mit fortschrittlichem Dämmstandard und intelligenter Haustechnik.» So beginnt die Kurzanleitung des Nutzerhandbuches für Minergie-Standard, das sämtliche 95 Mietparteien der Überbauung Salix gemeinsam mit ihrem Mietvertrag erhielten. 

Die Liegenschaft am Weidenweg in Kaiseraugst wurde von der Swiss-Life im Jahre 2010 neu erstellt. Sie umfasst 95 Wohnungen und wird von der Livit AG verwaltet. Den Mieterinnen und Mietern wurde vor und auch bei Vertragsunterzeichnung zugesichert, dass sich sämtliche Wohnungen im Minergie-Standard befinden. Zudem hing an der Hausfassade eine Etikette mit dem Minergie-Label, das von einer kantonalen Fachstelle vergeben wird. Damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Gebäude deutlich bessere Isolationswerte bei höherem Wohnkomfort aufweisen und die Mieter mit wesentlich tieferen Energiekosten rechnen können.

Hausverwaltung will nichts von Mängeln wissen

Das Label für Minergiebauten ist geschützt.
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Das Label für Minergiebauten ist geschützt.

Erste Zweifel tauchten bei den neuen Bewohnern schon bald nach den Einzug auf. Sie erkundigten sich bei der Livit, ob die für den Minergie-Status erforderlichen Bedingungen tatsächlich eingehalten werden. Denn es war offensichtlich, dass weder die vorgeschriebene Komfortlüftung noch die Temperaturfühler in allen Zimmern vorhanden waren. Zudem wies ein Baufachmann darauf hin, dass weder die Stärke des Mauerwerks noch der Aussenisolation die strengen Anforderungen des Minergie-Standards erfüllen. Aufgrund dieser Ungereimtheiten wandten sich die skeptisch gestimmte Mieter nochmals an die Livit. 

Die Verwaltung verneinte jedoch einen Mangel. Im November 2014 wurde das Minergie-Zertifikat stillschweigend von der Fassade entfernt. Auch fehlt seither in den Wohnungsinseraten im Internet jeder Hinweis auf den Minergie-Standard. Die eigens für die Überbauung aufgeschaltene Webseite verschwand vom Netz.

Engagierter Mieter fordert Mietzinsreduktion

Im April 2015 fand in Rheinfelden eine Schlichtungsverhandlung statt, nachdem ein engagierter Mieter die Schlichtungsstelle anrief und eine rückwirkende Mietzinsreduktion forderte. Die Schlichtungsbehörde teilte seine Meinung, es liege hier ein Mangel vor und stimmte einer Reduktion von 8 Prozent der Nettomiete zu. Dennoch kam es zu keiner Einigung zwischen den Parteien. Folgerichtig klagte der Mieter seine Forderung beim Bezirksgericht ein. Dieses Verfahren ist derzeit noch hängig.

Da sich dieser Streit in der Siedlung rasch herumsprach, wandten sich weitere Bewohner an den MV und baten ebenfalls um Unterstützung. Sämtliche Betroffenen erhielten daraufhin einen Musterbrief, mit dem sie ihre Ansprüche bei der Verwaltung geltend machen konnten. Über dreissig Mietparteien machten davon Gebrauch und forderten nun ebenfalls eine Mietzinssenkung. Doch die Livit vertröstete sie mit mehreren Schreiben mit dem Hinweis auf Abklärungen bei der Zertifizierungsfachstelle. Dabei hielt sie in einem ihrer Briefe fest, dass die Fachstelle die Minergie-Zertifizierung «widerrechtlich» entzogen habe. Dies trotz der offensichtlichen baulichen Mängel. So bleibt auch den übrigen Betroffenen nichts anderes übrig, als ebenfalls an die Schlichtungsstelle zu gelangen.

Urs Thrier, MV Baselland