15.03.2023
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Schlichtungsbehörde

Nur wer sich wehrt, kann gewinnen

Viele Mieter*innen scheuen sich, bei Unstimmigkeiten mit der Vermieterschaft die Schlichtungsbehörde einzuschalten. Dabei haben sie nichts zu verlieren. Im Gegenteil: Sie können viel erreichen, wie der Fall von Margrit Brunner zeigt.

Text und Bild: Isabel Plana

Manche würden sagen, Margrit Brunner sei mutig. Weil sie sich nicht scheute, ihrem Vermieter die Stirn zu bieten. Mit Mut habe das nichts zu tun, sagt sie dagegen. «Ich kenne meine Rechte als Mieterin, weil ich mich immer gut informiere und schon lange Mitglied beim Mieterinnen- und Mieterverband bin.» Und: «Ich lasse mich nicht gerne verschaukeln.» Sie wehrte sich, wenn der Referenzzinssatz sank und ihr der Vermieter nicht von sich aus die Miete herabsetzte. Sie wehrte sich auch, als er 2017 die marode Balkondecke (faustgrosse Zementstücke fielen herunter) zunächst nicht reparieren wollte und ihr die Schimmelbehandlung im Bad in Rechnung stellte. «Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass die Schimmelbildung baulich bedingt und kein selbstverschuldeter Mangel ist und dass ich deshalb als Mieterin nicht für diese Kosten aufkommen muss.» Ihre Hartnäckigkeit zahlte sich aus, der Vermieter gab nach. Ein Glücksfall, wie sich später herausstellen sollte.

Keine Schlammschlacht
Zuletzt wehrte sich Margrit Brunner, als ihr im April 2020 nach über 28 Jahren die Wohnung gekündigt wurde – wegen eines geplanten Ersatzneubaus, für den zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ein Baugesuch vorlag. «Mein Mann und ich waren da gerade erst pensioniert worden. Angesichts des überhitzten Wohnungsmarkts in der Stadt Zürich und der vielen Leerkündigungen insbesondere in unserem Quartier Witikon wussten wir: Es wird sehr schwierig, eine vergleichbare Wohnung zu finden, die wir uns mit unserer Rente langfristig leisten können.» Sie wandten sich umgehend an den MV, liessen sich beraten und beschlossen daraufhin, die Kündigung anzufechten und ein Gesuch auf Mieterstreckung zu stellen. «Unser Ziel war, so lange wie möglich bleiben zu können, damit wir in Ruhe etwas Passendes suchen können und nicht die erstbeste oder eine überteuerte Wohnung nehmen müssen.»

Im Dezember 2020 kam es zur Schlichtungsverhandlung. Als unangenehm empfand Margrit Brunner das Zusammentreffen mit dem Vermieter vor der Schlichtungsbehörde nicht. «Die Verhandlung lief sehr gesittet ab, der Umgangston war höflich», erinnert sie sich. «Ich habe in all den Jahren auch bei Unstimmigkeiten stets sachlich und anständig mit dem Vermieter kommuniziert – und er mit mir. Das ist, denke ich, eine wichtige Voraussetzung dafür, dass man sich bei einer solchen Verhandlung mit gutem Gefühl in die Augen schauen kann.» Eine grosse Entlastung sei auch die Anwältin gewesen, die ihr der MV zur Seite stellte. «Sie hat hartnäckig verhandelt, drei Stunden lang! Ohne sie hätte ich nicht so viel erreicht.»

Gute Chancen im Schlichtungsverfahren
Für Anabel von Uslar sind solche – mitunter auch zähen – Verhandlungen Alltag. Die Anwältin hat schon viele Mieter*innen in einem Schlichtungsverfahren vertreten. Es gebe keinen Grund, sich davor zu fürchten, sagt sie. Die Angst vor einer Retourkutsche – zum Beispiel in Form einer schlechten Referenz bei einer künftigen Wohnungsbewerbung – sei unbegründet. «Gerade im Fall einer Kündigungsanfechtung liegt es ja auch im Interesse des Vermieters, dass man möglichst schnell etwas Neues findet und auszieht. Eine schlechte Referenz wäre da kontraproduktiv.» Ob Kündigung, missbräuchlicher Anfangsmietzins, nicht behobene Mängel, Unstimmigkeiten in der Nebenkostenabrechnung oder Mietzinsreduktion etwa wegen Lärmbelastung – es sei sinnvoll, ein Schlichtungsgesuch zu stellen, sagt die Anwältin. Denn als Mieterin habe man nichts zu verlieren. Im Gegenteil. «Zum einen sind Schlichtungsverfahren kostenlos, und man kann ein Schlichtungsgesuch jederzeit wieder unentgeltlich zurückziehen, falls man es sich doch anders überlegt oder einem die Vermieterschaft bereits vor der Verhandlung ein passendes Angebot macht.» Zum anderen setze die Schlichtungsbehörde alles daran, dass sich die beiden Parteien auf einen Vergleich einigen. «Die Chancen stehen daher gut, dass die Mieterinnen ihre Begehren zumindest teilweise durchsetzen können», so von Uslar.

Im Fall von Margrit Brunner hatte die Anwältin ein Ass im Ärmel: die Mängelstreitigkeiten von 2017. «Wenn sich Mieter*innen erfolgreich gegen die Vermieterschaft wehren – sei es in einem Schlichtungsverfahren, vor dem Mietgericht oder, sofern sie dies belegen können, auch ausserbehördlich –, haben sie einen dreijährigen Kündigungsschutz », erklärt von Uslar. Da die Mängelstreitigkeiten von 2017 zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht drei Jahre zurücklagen und Margrit Brunner sämtliche Dokumente und Schriftwechsel von damals aufbewahrt hatte, konnte die Anwältin den Kündigungsschutz ins Feld führen. «Vor Mietgericht hätte die Kündigung allenfalls für ungültig erklärt werden können. Deshalb lag dem Vermieter viel daran, die Sache vor der Schlichtungsbehörde mit einem Vergleich zu beenden.»

Erfolgreich verhandelt
Aus dieser starken Verhandlungsposition heraus konnte die Anwältin einen guten Deal für Margrit Brunner erzielen: eine Mieterstreckung von neun Monaten und, im Sinne eines Schadenersatzes, eine Entschädigung im fünfstelligen Bereich. «Für mich war die Mieterstreckung das Wichtige. Mit einer Entschädigung hatte ich nicht gerechnet», sagt Margrit Brunner. «Aber natürlich ist es eine gewisse Genugtuung, wenn man den ganzen Aufwand, die emotionale Belastung der Wohnungssuche und die entstandenen Mehrkosten bedenkt. Der Umzug, der in unserem Fall 15 000 Franken gekostet hat, tut dann weniger weh.»

Eine Erstreckung wird bei Kündigungsanfechtungen in der Stadt Zürich mittlerweile fast immer gewährt. Entschädigungen sind hingegen nicht die Regel, wie von Uslar sagt. Und der Aufwand, den ein Schlichtungsverfahren mit sich bringt, sollte überdies nicht unterschätzt werden. Bei einem Gesuch um Mieterstreckung etwa muss man als Mieterin nachweisen, dass man sich intensiv bemüht hat, eine vergleichbare Wohnung zu finden, und seine Finanzen offenlegen. «Ich habe wochenlang Wohnungsinserate durchforstet, von denen keines gepasst hat, und am Ende einen dicken Ordner damit gefüllt», erinnert sich Margrit Brunner, die mittlerweile im Kanton Thurgau wohnt. «Es hat mich nicht nur viel Zeit, sondern auch viele Nerven gekostet, etwas zu beweisen, was ohnehin schon alle wissen: Nämlich dass es in der Stadt Zürich praktisch unmöglich ist, eine 4,5-Zimmer-Wohnung an ruhiger Lage für unter 2500 Franken zu finden, die nicht in den nächsten paar Jahren abgerissen wird.»

Beharrlich sein – und Belege aufheben
Trotz allem würde Margrit Brunner eine Kündigung auch in Zukunft wieder anfechten. «Es lohnt sich, beharrlich zu sein», meint sie schmunzelnd. Ihr Fall zeigt: Man kann als Mieterin mit einem Schlichtungsgesuch viel erreichen. «Man sollte sich aber vorher über mietrechtliche Themen informieren und beim MV kundig machen», empfiehlt sie. «Und bei Unstimmigkeiten mit dem Vermieter alle Dokumente, E-Mails und Briefe sauber aufbewahren. Man weiss nie, ob diese, wie in meinem Fall, irgendwann einmal von Nutzen sein können.»

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