In Zürich verbünden sich die Menschen zunehmend im Widerstand gegen die Verdrängung: Bei der Petitionsübergabe für ihre Häuser erhielten die Mieter*innen der Siedlung Küngenmatt vor kurzem Unterstützung, unter anderem auch von den Mieter*innen in Wollishofen und anderen Quartieren. Foto: Esther Banz
23.11.2023
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Zürich  | 
Hausverkauf

Ihr Engagement schweisst sie zusammen

Eine ganze Siedlung mit 39 Wohnungen, in denen auch Familien mit kleinen Kindern leben, steht in Zürich-Wollishofen im Bietverfahren zum Verkauf. Nachbarschaftliche Netze drohen zerrissen zu werden. Auch auf Makler­-Seite gibt es ein Netz – es ist weniger transparent.

Es ist schon dunkel, als sich mehrere Nachbar*innen zu einer Sitzung auf dem asphaltierten Vorplatz der Scheideggstrasse 112 treffen. Can Deniz kommt mit Block und Stift, für die Traktanden schaut er auf das Display seines Telefons. Kristina Heinzer (ihren Namen haben wir geändert) sagt, sie müsse in einer guten halben Stunde kurz zurück in die Wohnung, um dem 2-jährigen Kind einen Gutenachtkuss zu geben. Eine weitere Bewohnerin verabschiedet sich bald nach Sitzungsbeginn – ihr Kind ist gerade nach Hause gekommen und gehört ins Bett, der Mann bleibt.

Die Bewohner*innen der Siedlung an der Scheidegg­ und der Kurfirstenstrasse treffen sich, weil die Häuser, in denen sie leben, verkauft werden sollen. Es ist zu diesem Zeitpunkt noch keine Woche her, dass sie ihre Petition lanciert haben. Sie verlangen, dass die Stadt sie und andere Mieter*innen im Kampf gegen die Ver­drängung unterstützt. Und von den beiden Noch-Eigentümern der sechs Häuser verlangen die Mieter*innen, dass sie ihre Verantwortung wahrnehmen und die Häuser an die mitbietende Stadt Zürich, die Stiftung PWG oder an eine andere gemeinnützige Wohnbauträgerin verkaufen – und nicht an eine private Immobilienfirma, die die gut erhaltenen Häuser abreissen und neue hinstellen würde.

Die Eigentümer, das ist ein Brüderpaar aus Weggis. Can Deniz rechnet vor, was die beiden allein mit den Mieteinzahlungen von ihm und seiner Frau schon verdient haben, Kosten abgezogen: über 300 000 Franken.

Bei den Besichtigungsterminen wenige Wochen davor beobachteten Deniz, Heinzer und viele weitere Mieter*innen die Kaufinteressierten – und sprachen sie an: «Wer sind Sie? Von welcher Firma?» Einer sei einfach an ihnen vorbeigelaufen, ohne zu grüssen, erzählt Kristina Heinzer: «Nicht einmal angeschaut hat er uns.» Ein Bewohner, dessen Wohnung er für zwei Minuten betrat, konnte ihm den Firmennamen Xania entlocken. «Interessiert hat ihn nur die Aussicht.»

Xania: Kauf, Abriss, Neubau

Der Verdacht hat sich bestätigt – und der Firmenname Xania sorgt unter den Bewohner*innen der Scheidegg­ und der Kurfistenstrasse für grosse Unruhe. Denn in der «Sonntagszeitung» war zu lesen, dass die Immobilienfirma, die eigentlich eine ganze Gruppe ist – es gibt Xania Real Estate, Xania Invest, Xania Sales, Xania Partner und Xania Holding –, bei Käufen regelmässig alle anderen Interessierten überbiete. Wem die Gruppe gehört, ist unklar. Vordergründig läuft alles über Thomas Prajer. Sein Geschäftsmodell: Kauf, Abriss und schliesslich Neubau luxuriöser, grossflächiger Stockwerkeigentumswohnungen.

Xania gibt es erst seit etwas mehr als einem Jahr. Dennoch besitzt oder vermarktet die Gruppe bereits über 45 Häuser, die meisten davon in Zürich und rund um den Zürichsee. Es sind Luxusobjekte, die Namen tragen wie «Mullberry Hill», «Honey Lane», «High Five», «The Fifteen», «Crystal House» oder «R245». In Zürich-Witikon ist Xania zurzeit in die Vermarktung künftiger Luxuswohnungen involviert. Die beiden Mehrfamilienhäuser am Glockenacker 65 und 67 sind erst vor wenigen Jahren saniert worden. Für die Kündigungen war Christoph M. Steiner mit seiner Firma IT3 zuständig. Steiner ist auch Präsident von SVIT Zürich, des Verbandes der Immobilienbewirtschafterinnen und ­Bewirtschafter. Er ist zudem Schlichter. Als solcher vertritt er Hausbesitzer respektive -verwaltungen, wenn sich Mieter*innen beispielsweise gegen eine Kündigung wehren. Steiner arbeitet regelmässig mit Thomas Prajer zusammen und war bis Februar dieses Jahres mit ihm auch im Verwaltungsrat der Bativag AG, die die beiden Häuser in Witikon gekauft hatte. In mehr als einem Fall hat der MV Zürich Einblick in die Art und Weise, wie Steiner mit gekündigten Mieter*innen den Auszug regelte – respektvoll wäre anders.

Die Mieter*innen in Wollishofen hoffen derweil, dass sie nie mit Steiner zu tun haben werden. Sie kämpfen dafür, dass ihre Häuser und die vielfältigen nachbarschaftlichen Netze erhalten bleiben. Ihre Petition ist nicht die erste dieser Art und aktuell auch nicht die einzige: Soeben haben die Bewohner*innen der Küngenmatt im Zürcher Heuried-Quartier ihre Petition dem Zürcher Stadtrat übergeben. Die Siedlung, die einem Credit-Suisse-Fonds gehört, umfasst 108 Wohnungen. Erst 2005 wurden die Häuser saniert, 2019 gab es eine neue Heizung und es wurden Solarpanels installiert. Trotzdem will die CS sie abreissen. Vor dem Zürcher Parlamentsgebäude versammeln sich Ende August gut hundert Personen zur Übergabe an Finanzvorstand Daniel Leupi (Grüne), dabei sind auch Mieter*innen aus der Scheidegg­/Kurfirstenstrasse. «Wollishofen ist auch hier!» ist auf ihrem Plakat zu lesen.

Der Widerstand wächst

In Zürich braut sich etwas zusammen, der Widerstand wird grösser und erhält mediale Beachtung. Das kommt nicht von ungefähr: Der AL-Politiker und unermüdliche Unterschriftensammler Mischa Schiwow mobilisiert Menschen, Nationalrätin Jacqueline Badran (SP) klärt in den grossen Medien auf. Und vernetzte Gruppen wie Mieten-Marta, die Urban Equipe und das Mietenplenum bereiten für Mieter*innen Ressourcen und Wissen auf und geben ihnen Ideen in die Hand, etwa mit dem Buch «Organisiert euch!». Auch die Mieter*innen im Heuried und in Wollishofen konnten auf Unterstützung zählen, insbesondere vonseiten des Mieterinnen- und Mieterverbands.

Vereinter Widerstand ist nötig, denn der Druck auf die Wohnungen wird nicht so bald nachlassen, auch wenn die Zinsen jetzt wieder steigen. Und das Abreissen von gut erhaltenen Wohnhäusern kommt nicht aus dem Nichts. Jacqueline Badran erklärt es in der «Republik» so: «Wenn meine Immobilie 1 Million Franken wert ist und ich habe daraus Erträge, also Mieteinnahmen, in der Höhe von 50 000 Franken, dann habe ich eine Rendite von 5 Prozent. Wenn nun aber durch die permanente Steigerung des Bodenwerts meine Immobilie plötzlich mit einem Wert von 2 Millionen in den Büchern steht und ich aber immer noch 50 000 Franken Ertrag habe, sinkt meine Rendite auf 2,5 Prozent. Also muss ich schauen, dass ich meine Erträge auf 100 000 verdopple, damit ich wieder auf meine 5 Prozent komme. Darum reissen so viele Immobilieninvestoren bestehende Häuser vorzeitig ab.»

Dass abreissen die Rendite steigert, zeigte ein Team der ETH vor kurzem eindrücklich in einer Studie auf: Wenn Häuser abgerissen und ersetzt werden, wohnen an derselben Adresse anschliessend neue Mieter*innen – und deren monatliches Haushaltseinkommen ist durchschnittlich um 3623 Franken höher als das der vorherigen. Beinahe 13 000 Personen mussten zwischen 2014 und 2019 in Zürich wegen eines Abbruchs oder einer Renovation das Haus, in dem sie lebten, verlassen. Betroffen waren Menschen mit sehr viel tieferen monatlichen Einkommen als das durchschnittliche, auch das hat die ETH ausgerechnet – und war selber überrascht ob der krassen Zahlen.

Ein Umdenken bei der Stadt?

In Wollishofen ist die Verdrängung nicht neu. Schon 2009 kündigte in diesem Stadtteil die CS allen Mieter*innen ihrer 13 Häuser und 75 Wohnungen umfassenden Eschenpark­Siedlung. Und schon damals gab es Widerstand gegen die Verdrängung und den Abriss in diesem Quartier, in dem es nur wenige bezahlbare Wohnungen gibt. Mit einer Petition forderten die Betroffenen und Verbündete, die Häuser an die Stadt (respektive die Stiftung zum Erhalt preisgünstiger Wohnungen PWG) zu verkaufen – und dass die Stadt sich stärker für bezahlbaren Wohnraum engagiere.

Walter Angst vom MV Zürich erinnert sich: «Die Kündigung des Escherparks war ein Fanal. Die Petition – lanciert von einem FDP-Mitglied, das den Quartierverein präsidierte, und dem MV Zürich – erzeugte grosses Echo. Die damals frisch gewählte Stadtpräsidentin Corine Mauch nahm die Unterschriften aus den Händen von Katharina Bretscher entgegen, der Frau des langjährigen NZZ-Chefredaktors Willy Bretscher. Corine Mauch begrüsste das Engagement der Mieter*innen – und machte gleichzeitig klar, dass sich der Stadtrat nicht in die Entscheide des Investors einmischen werde.»

Vierzehn Jahre nachdem der Stadtrat an dieser denkwürdigen Übergabe den von Verdrängung betroffenen Mieter*innen die Unterstützung verweigerte, sei jetzt ein Umdenken spürbar, sagt Angst: «Am besten zum Ausdruck kommt es in der Unterstützung durch André Odermatt (SP) und Daniel Leupi (Grüne) für die Wohnschutz-Initiative, die der MV am 18. August lanciert hat.»

Wird die Wohnschutz-Initiative angenommen, wird es künftig weniger Anreize geben, gut erhaltene Häuser wie die an der Scheideggstrasse in Wollishofen einfach abzureissen und die bestehenden Wohnungen durch neue, teurere zu ersetzen (siehe Kasten). Xania, Bativag und auch der Immobilienbroker Walde wären eingeladen, ihr Geschäftsmodell zu überdenken.

Intransparente Firmengeflechte

Walde Immobilien wurde mit der Suche nach einem Käufer für die Häuser in Wollishofen betraut. Ins Rennen kam nur, wer dazu eingeladen worden war. Dass auch Xania zu dieser Gelegenheit kam, obwohl die Firma noch jung ist und schon gut ausgelastet scheint, überrascht nur auf den ersten Blick. Tatsächlich sind Walde und Thomas Prajer bereits Geschäftspartner, wie mehreren Projekt­ beschrieben von Xania zu entnehmen ist. Hat Xania einen Vorteil im Bietverfahren? Walde schweigt selbstverständlich. Auch die Eigentümer äussern sich nicht dazu. Sie verweisen an Rechtsanwalt Felix Reichle. Der arbeitet in der Kanzlei FelderSpälti in Zürich. Sein Chef Andreas Felder ist ebenfalls im SVIT-Netzwerk. Ausserdem ist er im Vorstand einer regio­nalen Sektion des Hauseigentümerverbandes HEV.

Der erfolgreiche Einkäufer Thomas Prajer macht kein Geheimnis daraus, dass er gut vernetzt ist. Bei ihm laufen viele Geld­ und Machtfäden zusammen, und er gründet Immobilienfirmen, wie andere Cumulus­Punkte sammeln. Eine seiner jüngsten: «Domi Living», der einzige an­ dere Verwaltungsrat dort ist der berühmte Lifestyle­Guru Tyler Brûlé.

Intransparente Firmengeflechte, als Partner nicht nur berühmte, sondern im Hintergrund auch unbekannte Investoren – sowie mehr als genug Geld, um bei Immobilienverkäufen alle andern zu überbieten: Hier kommt einiges zusammen, was der Bundesrat als heikel erachtet. Künftig sollen endlich auch in der Schweiz bei Immobilientransaktionen die wirtschaftlich Berechtigten in ein zentrales Register eingetragen werden müssen: Diesen Vorschlag für mehr Transparenz hat die Landesregierung soeben in die Vernehmlassung geschickt. Finden die gesetzlichen Anpassungen in Bern eine Mehrheit, wird auch das der Verdrängung entgegenwirken.

Engagement schweisst zusammen

Bis dahin sind die Häuser an der Scheideggstrasse aber längst verkauft. Gegenüber der Journalistin sagt die Tochter von einem der Besitzer, man schaue auf die Seriosität der Käufer und nehme Rücksicht auf den Input der Mieter*innen. Man strebe eine Lösung an, die für alle stimme. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses ist der Entscheid noch nicht bekannt. Aber eines ist sicher: Ihr Engagement für sich und andere Mieter*innen schweisst die Menschen, die in der Siedlung wohnen, noch stärker zusammen.

Nach und nach gehen die Lichter aus hinter den Fenstern. Auf dem Parkplatz diskutiert und plant die Gruppe weiter, bis jemand irgendwann müde sagt: «Jetzt muss aber auch ich ins Bett!»

Text: Esther Banz

Veröffentlicht am 18. September 2023