16.12.2021
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Mieteraktion

Was kann Walter Angst im Stadtrat für die Mieter*innen bewirken?

Walter Angst verantwortet seit über 16 Jahren die Kommunikation des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich. Jetzt möchte der Experte für Stadtentwicklung und Wohnbaupolitik in den Stadtrat von Zürich. Der MV Zürich hat ihm dazu ein paar Fragen gestellt:

Warum sollten dich die Mieter*innen der Stadt Zürich in die Regierung wählen?

Walter Angst: Die Stadt Zürich zeigt inzwischen viel Verständnis für Mieter*innen, die ihre Wohnung verlieren und die hohen Marktmieten in Zürich nicht mehr leisten können. Das ist gut so, weil es nicht immer so war. Aber Verständnis allein reicht nicht mehr aus.

Wir müssen Menschen, die in Not sind, aktiv unterstützen. Und wir müssen die Bau- und Wohnindustrie zu einem grossen Turnaround auffordern - auch dem Klima zuliebe.

Man kann Arbeitsplätze schaffen und Geld verdienen, indem man Bausubstanz erhält und preisgünstige Wohnungen und bezahlbare Gewerberäume schafft. Nur eine Stadt, in der auch die privaten Eigentümer dies tun, kann eine lebendige Stadt sein.

Du bist Mitinitiant der städtischen Volksinitiative für Mehr Alterswohnungen. Worum geht es darin?

Walter Angst: Wenn ältere Menschen mit kleinem Portemonnaie Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren, muss ihnen die Stadt eine Wohnung anbieten können, die sie bezahlen können – und zwar nicht erst in zehn Jahren. Bisher hat die Wohndelegation des Stadtrats noch keinen Plan, wie das umgesetzt werden soll. Ich bin überzeugt, dass meine Argumente den Stadtrat dazu bewegen können, das Thema auf die Prioritätenliste zu setzen.

Dafür müsste die Stadt etwas gegen die Zerstörung von preisgünstigem Wohnraum tun …

Walter Angst: Genau! Nach dem Ja zum Richtplan wird im Stadtrat jetzt die nächste Revision der Bauordnung aufgegleist, die 2025 in Kraft gesetzt werden soll. Die letzte Revision der Bauordnung konnte die grossflächige Zerstörung von Mietwohnungen zwischen 1200 und1600 Franken nicht bremsen. Diesen Trend müssen wir brechen.

Wie?

Walter Angst: Verabschieden wir uns von der Idee, dass die zwischen 1950 und 1980 geschaffene Bausubstanz nicht mehr zeitgemäss ist. Ich komme in meinem beruflichen Alltag regelmässig mit Menschen in Kontakt, die liebend gern in ihrer 75 Quadratmeter grossen Vierzimmerwohnung bleiben möchten, weil sie nur diese bezahlen können. Wir müssen Verfahren entwickeln, die den Erhalt dieser Bausubstanz ermöglichen, ohne die Verdichtung zu blockieren. Die Zahl der Wohnungen, die jedes Jahr abgerissen werden, muss sinken.

Wie kann dieses Ziel erreicht werden?

Walter Angst: Am meisten CO2 verschwenden wir, indem wir Gebäude abbrechen. Das verbleibende CO2-Budget müssen wir für den Neubau jener Gebäude einsetzen, die dringend gebraucht werden: Schulen, Spitäler, Brücken, Bahnhöfe und Universitäten. Bestehende Bauten müssen wir erhalten - oder in ihre Einzelteile zerlegen und diese für Neubauten verwenden. «Re-Use» ist das Schlachtwort einer ganzen Generation junger Architekt*innen. Diese müssen wir zum Zug kommen lassen.

Wie soll das gehen? Es sind ja nicht die Architekt*innen, sondern die Immobilienunternehmen, die den Ton angeben.

Walter Angst:  Wir müssen die Bauvorschriften so anpassen, dass der Abbruch nicht mehr die lukrativste Lösung ist. Und wir müssen grosse Areale mit einer sogenannten Gestaltungsplanpflicht belegen. Der Verlust an grauer Energie muss in die Energiebilanz einbezogen werden. Der Abbruch von Gebäuden, die erst 40 Jahre alt sich, darf sich nicht mehr lohnen.

Wie willst du die Stimme der Mieter*innen im Stadtrat vertreten?

Walter Angst: 90 Prozent der Zürcherinnen und Zürcher wohnen zur Miete. Die meisten der 90'000 KMU müssen Mietverträge abschliessen, um ihr Geschäft betreiben und Arbeits- sowie Ausbildungsplätze anbieten zu können. Eine Stadt, die die Mieterinnen und Mieter ins Zentrum rückt, ist eine lebendige Stadt. Sie kennen den Wert ihres Wohn- und Arbeitsorts und müssen bei der Weiterentwicklung ihres Quartiers eine zentrale Rolle einnehmen. Wenn das Amt für Städtebau mit Grundeigentümern den Abriss ganzer Stadtteile plant, müssen die Bewohnerinnen und Bewohner als Stakeholder an den Tisch geholt werden – wie das Wohnbaugenossenschaften tun, in denen Mieter*innen auch Miteigentümer*innen sind.