Wir gehen nicht kampflos
In Uster wird es für Mietende zusehends ungemütlich. Jüngst wurde bekannt, dass die familienfreundliche Siedlung an der Zelgstrasse abgerissen und durch fünf Mehrfamilienhäuser ersetzt werden soll. Die Mieterschaft erfuhr davon erst wenige Wochen vor der Kündigung.
Text: Isabel Plana
Was man sich aus der Stadt Zürich schon länger gewohnt ist, scheint nun auch im boomenden Uster angekommen zu sein. Grossinvestoren planen im Stillen Ersatzneubauten mit möglichst hoher Ausnutzungsziffer und lassen die Mieterschaft bis zum letztmöglichen Zeitpunkt darüber im Dunkeln. Selbst wenn einzelne Mieter*innen Verdacht schöpfen und nachfragen, bekommen sie von der Liegenschaftsverwaltung keine Antwort. «Ich habe erst durch den Brief des Mieterinnen- und Mieterverbands Mitte März von den möglichen Abriss- und Neubauplänen erfahren», erzählt Jevaire
Sulejmani. Die 35-jährige Berufsschullehrerin wohnt seit zwölf Jahren mit ihrem Partner in der Siedlung Zelgstrasse, die von der UBS im grössten Immobilienfonds der Schweiz (Sima-Fonds) gehalten wird. «Schon damals bei der Wohnungsbesichtigung meinte der Vormieter, dass wahrscheinlich bald mal renoviert würde.» Gemacht wurde bisher nie etwas. «Dass Küche und Bad recht alt waren, hat uns nicht gestört. Wir haben uns trotzdem in diese Maisonette-Wohnung verliebt, vor allem auch, weil die Siedlung so grün und ruhig ist.» Die vier dreistöckigen Mehrfamilienhäuser mit Baujahr 1982 sind nur wenige Minuten vom Greifensee entfernt. Die siebzig Wohnungen sind preiswert, die Mieterschaft durchmischt, viele Familien, ältere Leute, verschiedene Nationalitäten. Das Herzstück der Siedlung ist eine grosse Wiese mit Kinderspielplatz und Gemeinschaftsgarten. «Unser Zuhause ist in jeder Hinsicht ein Bijou», beschreibt es Sulejmani. Die UBS sieht darin wohl eher einen Rohdiamanten.
Aus 70 Wohnungen werden 164
Mitte Mai haben die Mieter*innen der Zelgstrasse die «Kündigung aufgrund Ersatzneubau » erhalten. An einer Sanierung der durchaus noch gut erhaltenen Liegenschaft war die UBS nicht interessiert. Weil eine Sanierung «aus ökologischer und ökonomischer Betrachtung keinen Sinn ergibt» und die Stadt Uster in diesem Gebiet mehr Verdichtung fordere, wie im Begleitschreiben zur Kündigung steht. Stattdessen sollen die vier Häuser abgerissen und durch grossflächigere, höhergeschossige Neubauten ersetzt werden. Der zusätzliche fünfte Wohnblock dürfte auf der heute unbebauten Wiese zu stehen kommen – ade, Spielplatz und Gemeinschaftsgarten. Aus 70 werden so 164 Wohnungen.
Über Preis und Grösse der geplanten Wohnungen hält sich die Vermieterschaft bedeckt. Dass sie teurer werden, ist so gut wie sicher. «Meiner Nachbarin hat die Verwaltung auf Anfrage gesagt, dass die neuen 4,5-Zimmer-Wohnungen voraussichtlich 80 bis 90 Quadratmeter gross sein und um die 3000 Franken kosten würden», erzählt Nathalie Bissegger, die mit ihrem Mann und den zwei jüngsten Kindern seit 2016 in der Siedlung wohnt. «Wie soll eine vierköpfige Familie auf so kleiner Fläche zu einem solchen Preis wohnen?», fragt sie sich. Zum Vergleich: Für ihre 135-Quadratmeter-Maisonnette inklusive Garagenparkplatz zahlt Bissegger aktuell 2500 Franken pro Monat. Die beiden Mitarbeiter der Verwaltung, die ihnen die Kündigung persönlich zuhause überreichten, hätten ihnen zwar ein Vormietrecht in Aussicht gestellt. Aber sie hätten keine konkreten Angaben zur zukünftigen Wohnung machen können, weder zu Fläche, Zimmerzahl, Raumaufteilung noch Mietpreis, sagt Bissegger. «Das ist uns viel zu unsicher und keine echte Option. Da verzichten wir lieber auf das Vormietrecht.» Nicht nur das Vormietrecht kann sich als Mogelpackung entpuppen, sondern auch die durch die Verwaltung angebotene Unterstützung bei der Wohnungssuche. Bissegger: «Die Inserate, die uns die Verwaltung bislang zugeschickt hat, entsprechen nicht annähernd unseren Kriterien.»
Präventive Kündigung als Strategie
Noch mehr als diese «Mieterspezialbehandlung» irritiert der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Kündigung für das geplante Projekt noch gar kein Baugesuch vorlag. Ein Baustart im Frühling 2022 ist also sehr unrealistisch. Trotzdem soll die erste Hälfte der Mieterschaft per Ende April nächsten Jahres ausziehen. Diese fast schon «präventive» Kündigung habe Strategie, sagt Walter Angst vom Mieterinnen- und Mieterverband Zürich. «Die Eigentümerin überfällt die meist völlig ahnungslosen Mieter*innen mit dem Kündigungsschreiben und hofft, dass möglichst wenige die Kündigung anfechten.»
«Der Termin Ende April kommt für uns zu einem unmöglichen Zeitpunkt – mitten im Schuljahr», sagt Nathalie Bissegger, deren zwei jüngste Töchter in den Kindergarten respektive in die 1. Klasse gehen. Sie bezweifle, dass ihre Familie im gleichen Quartier eine passende und zahlbare Wohnung finden wird und die Kinder in der gleichen Schule bleiben können. «Deswegen haben wir die Kündigung angefochten und eine Mieterstreckung gefordert, damit wir den Umzug auf den Sommer, zwischen die Schuljahre, legen können.» Auch Jevaire Sulejmani hat die Kündigung angefochten. «Wir wollen in Uster, am liebsten in Niederuster bleiben und sind aktiv am Suchen. Aber es ist echt schwierig. Unter 3000 Franken haben wir in der Nähe kaum eine Wohnung gesehen, die von der Grösse her mit der unsrigen vergleichbar wäre.» Mit der Anfechtung wollen sie sich mehr Zeit verschaffen.
Familien werden aus Uster verdrängt
Nach dem ersten Info-Treffen, zu dem der MV die Mieterschaft im März geladen hatte, haben Sulejmani und Bissegger mit sechs weiteren Bewohner* innen der Siedlung eine Kerngruppe gebildet, um gegen die Leerkündigung zu mobilisieren. Sie trafen sich mit der Stadtpräsidentin und dem Bauvorstand von Uster zu einem Gespräch, um herauszufinden, ob die Stadt sie in ihrem Kampf unterstützen könne. Die Frage war schnell beantwortet: Der Stadt sind baurechtlich die Hände gebunden. Die Stadtpräsidentin wies darauf hin, dass die Bevölkerung über politische Vorstösse und Eingaben bei der neuen Bau- und Zonenordnung selber Einfluss auf die Entwicklung im Wohnungsmarkt nehmen könne.
«Von der Stadt bin ich ziemlich enttäuscht», sagt Nathalie Bissegger. «Uster schreibt sich auf die Fahne, familienfreundlich zu sein und soziale Durchmischung zu fördern. Solche Neubauprojekte bewirken aber genau das Gegenteil: Es entsteht eine Klassengesellschaft und Familien werden aus Uster verdrängt.» Auch dagegen wolle sie mit ihrem Engagement in der Kerngruppe ein Zeichen setzen. Ihre Mitstreiterin Jevaire Sulejmani sagt: «Wir müssen uns wehren und laut sein, damit es auch die Öffentlichkeit mitbekommt und sich politisch etwas bewegt.» Damit es anderen in Zukunft nicht mehr so ergehe wie ihnen. «Wenn wir hier rausmüssen, dann nicht kampflos», sagt Nathalie Bissegger. «Wir wollen den Zeitpunkt mitbestimmen. Und wir wollen, dass die Eigentümer ihr Gesicht zeigen und die Bedürfnisse der Mieter* innen ernst nehmen.»
UBS: Asset Manager bleibt in Deckung
Offiziell gehören die Häuser an der Zelgstrasse der Turintra AG. Real ist sie Teil des grossen Immobilienportfolios der UBS. Die Entscheide trifft Daniel Brüllmann, Chef der UBS Fund Management (Switzerland) AG. Die Mieter*innen der Zelgstrasse versuchen seit April, mit dem Entscheidungsträger Kontakt aufzunehmen. Auf Anfrage liess Brüllmann über die Verwalterin (Livit) mitteilen, dass die Mieter*innen nicht mit der Eigentümerschaft Kontakt aufnehmen dürften. Daran hat auch ein Schreiben der Ustermer Stadtpräsidentin Barbara Thalmann nichts geändert. Nach dem Gespräch mit den Mieter*innen hat sie Brüllmann am 20. Mai freundlich gebeten, über den Entscheidfindungsprozess der Eigentümerschaft zu informieren. Bis Redaktionsschluss (14. Juni) hat dieses Schreiben keine Wirkung entfaltet. Brüllmann ist Vorstandsmitglied des Verbands Immobilien Schweiz (VSI). Die vom Appenzeller CVP Ständerat Daniel Fässler präsidierte Lobbyorganisation will den Schutz der Mieter*innen vor missbräuchlichen Mietzinsen demontieren.
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