28.07.2020

Verfassungsrichter lassen «Zurich&Co.» weiter wüten

Selbst das oberste Gericht hält «die Gefahr» für «notorisch», dass aktuelle Bauvorhaben den seit 2018 gültigen Verfassungs-Wohnschutz aushebeln. Es lehnt dennoch jegliche kurzfristige Sistierung ab und lässt die von «Zurich», «Credit Suisse» etc. Betroffenen im Regen stehen. Das Urteil liest sich wie ein Plädoyer für unsere breit abgestützte neue Initiative «Ja zum echten Wohnschutz» und das Referendum «Nein zum Nichtwohnschutz».

Das Gute vorweg: Der Verfassungsgerichtsentscheid (VGE) vom 22. Juli 2020 bestätigt die anhaltende Wohnungsnot und auch die Tendenzen zur Verdrängung und Vertreibung langjähriger Mietparteien aus ihren Quartieren. Es bestätigt - anders als der Regierungsrat in seiner Eingabe - ausdrücklich auch, dass die initiative die Einheit der Materie respektiert.

Weiteres «Gutes im Bösen»: Der VGE ist ausufernd, aber in keinem seiner juristischen Aspekte zwingend. Ausgiebig bestätigt er die Anliegen der Wohnschutzverfassung seit 10. Juni 2018. Der beeindruckende Umfang von 35 Seiten ist wohl eher dem Bundesgericht geschuldet, das bekanntlich «kantonales Ermessen» schützt. So wendet der VGE jegliches Ermessen lückenlos gegen die Anliegen der Moratoriumsinitiative:

  • Keine Sistierung trotz wohnschutzwidriger Bauvorhaben: (Seiten 15ff) Sistierung wird rundweg abgelehnt, obwohl die Moratoriumsinitiative sie ausdrücklich auf Grosse einschränkt. Dass das Moratorium auf maximal 3 Jahre beschränkt bleibt, anerkennt der VGE zwar ausdrücklich als «mässig».  Dennoch «Njet», weil Sistierung auch anständige Bauherren treffen könnte: Seite 24: «Zumindest wenn die Wohnungen nicht mehr zu Wohnen geeignet sind, liegt die Erhaltung des bestehenden Zustands nicht im öffentlichen interesse und dient nicht dem Schutz des Grundrechts auf Wohnen, weil die Wohnungen keinen bedarfsgerechten Wohnraum mehr darstellen.»

 

  • Kein Moratorium trotz Verdrängung aus den Wohnquartieren: Das VGE bestätigt diese Verdrängungstendenzen unumwunden. Dennoch lehnt er das Moratorium ab, Begründung: Trotz der Spekulation würden die Quartiere ja innert 3 Jahren nicht vollständig (sondern nur zum Teil?) zerstört: Seite 22: «Die Gefahr, dass seit der Annahme der revidierten Fassung von § 34 KV in der Volksabstimmung vom 10. Juni 2018 mehr Bewilligungen als bisher beantragt werden für Vorhaben, die den Zielen von § 34 KV in der Fassung vom 10. Juni 2018 widersprechen, kann deshalb als notorisch berücksichtigt werden.» Dennoch sei es «ausgeschlossen, dass der Charakter der Quartiere sowie die Wohn- und Lebensverhältnisse durch die in der vergleichsweise kurzen Zeit bis zum Inkrafttreten der Ausführungsgesetzgebung nach altem Recht bewilligten Projekte derart grundlegend verändert werden könnten, dass nichts Bewahrungswürdiges mehr bleibt

 

  • Keine Anwendung weil zu unbestimmt. Der Zeitpunkt, in dem die Ausführungsgesetzgebung vorliege und die Sistierung daher aufgehoben werden könne (wenn sie weniger als 3 Jahre dauere), lasse sich nicht eindeutig bestimmen. das ist natürlich sehr spitzfindig, denn beim Moratorium geht es stets um das Hauptgesetz. «...Änderungen von Rechtsakten können jederzeit initiiert werden. Damit ist nicht bestimmbar, wann die gesamte Ausführungsgesetzgebung zu § 34 KV... in Kraft getreten sein wird.»
     

Unbeabsichtigte Werbung für die Initiative «JA zum echten Wohnschutz!»:
Die 35 Seiten VGE wecken den Eindruck, eine (bürgerliche) Mehrheit des Gerichts wolle am Status quo nichts ändern. Indirekt hat das Gericht so die Debatte um unsere Initiative «Ja zum echten Wohnschutz!» (inkl. Referendum «Nein zum Nichtwohnschutz!») befeuert. Denn aus Wohnschutz-Sicht liest sich der Verfassungsgerichtsentscheid wie ein Plädoyer dafür, nun auf dem ordentlichen Weg endlich ein echtes Wohnschutzgesetz auf den Weg zu bringen.