Höher als vom Gesetz erlaubt

Illustration: Patric Sandri

Mieter*innen zahlen Monat für Monat zu viel für ihre Wohnungen. Jetzt gibt es neue Zahlen dazu.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar von MV-Präsident Carlo Sommaruga

Wer in einer durchschnittlichen Mietwohnung lebt, hat letztes Jahr pro Monat fast 370 Franken zu viel Miete bezahlt. Auf das gesamte Jahr gerechnet sind das 4440 Franken. Auf alle Wohnungen hochgerechnet ergibt es insgesamt über 10 Milliarden Franken, die 2021 zu Unrecht von den Mieter*innen an die Vermieter*innen flossen. Diese Zahlen liefert eine aktuelle Studie, die das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS) im Auftrag des Mieterinnen- und Mieterverbands erstellt hat. Untersucht wurde, um wie viel die Mieten zwischen 2006 und 2021 gemäss Mietrecht hätten ansteigen dürfen und wie stark die Aufschläge tatsächlich waren.

Dass die Mieten stärker angestiegen sind, als eigentlich zulässig wäre, vermag nicht mehr gross zu erstaunen. Gigantisch sind hingegen die konkreten Zahlen, welche die Studie liefert: In den letzten 16 Jahren haben sich die zu viel bezahlten Mieten auf 78 Milliarden Franken summiert. Und die Tendenz zeigt nach oben.

Entwicklung der jährlichen Umverteilung zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen: Die Summe der zu viel bezahlten Mietzinse nimmt jedes Jahr zu, 2021 waren es schon über 10 Milliarden Franken. Quelle: Büro BASS

Die Gründe für den Anstieg

Dabei hätten die Mietzinsen während des untersuchten Zeitraums um gut 10 Prozent sinken müssen. Für den krassen Unterschied zwischen den eigentlich zulässigen und den tatsächlich bezahlten Mieten gibt es gemäss der BASS-Studie vor allem zwei Gründe:
Erstens werden Wechsel der Mieterschaft oft dafür genutzt, die Mieten zu erhöhen, und zwar selbst dann, wenn die Kosten gesunken sind. Zweitens wurden die fünf Senkungen des Referenzzinssatzes zwischen 2006 und 2021 nur in einem von sechs Mietverhältnissen von den Vermieter*innen in Form einer Mietzinssenkung an die Mieter*innen weitergegeben.

Die so ständig steigenden Mietzinse bescheren vielen Eigentümer*innen mittlerweile satte Renditen in der Höhe von 6 oder 7 Prozent, bei den grossen Immobiliengesellschaften erreichen die Renditen sogar den zweistelligen Bereich. Gemäss der BASS-Studie betrug die durchschnittliche Nettorendite im untersuchten Zeitraum 6,2 Prozent. Im Vergleich mit anderen Anlagen ist das sehr hoch – und höher, als das Gesetz es erlaubt.

Verstoss gegen Verfassung und Gesetz

Mit solchen Renditen werden seit Jahren sowohl unsere Verfassung als auch unser Mietrecht verletzt. Die Bundesverfassung besagt, Bund und Kantone müssten sich dafür einsetzen, «dass Wohnungssuchende für sich und ihre Familie eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden können». Das Mietrecht konkretisiert diesen Grundsatz mit dem Prinzip der Kostenmiete plus: Vermieter*innen sollen mit den Mieteinnahmen ihre Kosten decken und eine beschränkte Rendite machen können. Die Mieter*innen sind durch die Beschränkung der Rendite vor zu hohen Mieten geschützt.

Das Bundesgericht, das im Streitfall die konkrete Höhe dieses Renditedeckels bestimmen muss, setzte die maximal zulässige Rendite lange Zeit bei 0,5 Prozentpunkten über dem gültigen Referenzzinssatz fest. 2020 erhöhte es sie in einem Leiturteil auf maximal 2 Prozentpunkte über dem Referenzzinssatz. Aktuell darf eine Rendite gemäss Gesetz also maximal 3,25 Prozent betragen.
Das bedeutet: Die oben erwähnte Durchschnittsrendite von 6,2 Prozent ist um fast 3 Prozentpunkte zu hoch. Viele Renditen sind demzufolge also gesetzeswidrig.

Warum wird das Gesetz nicht durchgesetzt?

Nun gibt es in der Schweiz leider kaum ein Gesetz, das so wenig durchgesetzt wird wie das Mietrecht in Bezug auf den Renditedeckel. Bis heute gibt es keinen Mechanismus, mit dem seine Einhaltung kontrolliert werden könnte. Vielmehr beruht das Mietrecht in seiner heutigen Ausgestaltung auf der Bekämpfung von Missbräuchen durch die Mieter*innen selber. Oder anders gesagt: Es liegt an den Einzelnen, ihre zu hohe Miete einzuklagen oder die Weitergabe der Referenzzinssenkungen einzufordern.

Nur tun sie dies sehr selten. Und zwar weil sie entweder gar nichts davon wissen (wer kennt schon das Mietrecht im Detail respektive die Praxis des Bundesgerichts?) oder Angst haben, die Wohnung zu verlieren, wenn sie sich mit der Vermieterschaft anlegen. Fechten die einzelnen Mietenden zu hohe Mieten aber nicht an, erhöht sich das generelle Mietzinsniveau mehr und mehr, wie es auch die vorliegenden Zahlen der BASS-Studie zeigen.

Die finanzielle Umverteilung von den Mieter*innen zu den Vermieter*innen wird so zunehmend grösser. Das ist natürlich einerseits für die Mietenden selber schlecht. Denn die Wohnkosten sind mit Abstand der grösste Ausgabeposten in den Schweizer Haushaltsbudgets, und die Ärmsten müssen mittlerweile mehr als 40 Prozent ihres Einkommens dafür ausgeben (siehe Interview). Daneben bleibt kaum mehr etwas zum Sparen übrig, etwa für die Altersvorsorge. Die Umverteilung ist aber auch aus volkswirtschaftlicher Sicht katastrophal. Denn wenn den Menschen immer mehr Geld im Portemonnaie fehlt, sinkt auch ihre Kaufkraft.

Eine Kontrolle muss her!

Die Mieten sind viel zu hoch und der Grundsatz im Mietrecht, wonach die einzelnen Mietenden selber gegen zu hohe Mieten vorgehen müssen, funktioniert ganz offensichtlich nicht. Wenn wir die gigantische Umverteilung stoppen wollen, müssen wir darum das Mietrecht anpassen. Denkbar sind einerseits eine Pflicht, wonach Mietzinsänderungen bei einem Wechsel der Mieterschaft begründet werden müssen, anderseits eine regelmässige Überprüfung der Mieten.

Letzteres fordert eine parlamentarische Initiative, die letztes Jahr von Carlo Sommaruga im Ständerat sowie von Jacqueline Badran im Nationalrat eingereicht wurde. Die beiden fordern eine periodische Revisionspflicht für Vermieter*innen mit mehreren Wohnungen. Ihre Renditen sollen regelmässig von einer unabhängigen Stelle überprüft werden. Dieses unbürokratische Konzept ist von der AHV sowie der Mehrwertsteuer her bereits bekannt und anerkannt. Die Verantwortung für die Umsetzung könnte dem Bundesamt für Wohnungswesen übertragen werden.

Mehr zur Studie erfahren Sie hier.

Text: Andrea Bauer